Das McKinsey-Massaker

Im Kino: Greg McLeans blutige Farce »Das Belko Experiment«

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Das ist wahre Entfremdung: Was die international tätige Belko-Corporation genau macht, wissen nicht einmal die Angestellten. Die sitzen in einem abgelegenen Bürokomplex in Bogota (Kolumbien) und denken, sie arbeiten für eine gemeinnützige Firma, die US-Unternehmen unterstützt, US-Mitarbeiter für ihre Filialen in Südamerika zu rekrutieren. Wenn der allzu menschliche Irrsinn in Greg McLeans blutiger Büro-Horror-Farce »Das Belko Experiment« Fahrt aufgenommen hat, werden sich die Mitarbeiter immer wieder fragen: Warum sind sie nicht schon viel früher stutzig geworden, angesichts fragwürdiger und sinnloser Tätigkeiten und allgemein undurchschaubarer Vorgänge in der Firma? Die Gründe für ein Abfinden mit grotesken bis illegalen Zuständen sind hier die gleichen wie auch in zahllosen »normalen« kapitalistischen Betrieben: weil das Geld stimmte und der Druck hoch war. In der Realität reicht oft schon Letzteres.

McLean hat ein Drehbuch des neuen Tausendsassas Hollywoods, James Gunn, verfilmt. Gunn (»Guardians Of The Galaxy« - Buch und Regie) hat gerade das Superhelden-Genre mit schrillem Witz und schräger Originalität aufgeladen. In »Das Belko Experiment« wählt er dagegen meist den ernsten, zynischen Tonfall - und trifft ihn oft, was nicht einfach ist bei einem Szenario, in dem plötzlich Köpfe explodieren oder der biedere Sachbearbeiter vom Nachbartisch zum kalten Killer wird. Das war wohl die größte Herausforderung für McLean und Gunn: die Ideen nicht permanent zu überspitzen und ihnen dadurch die Schärfe zu nehmen, also in einem durchgeknallten Rahmen (relativ) ernst zu bleiben, ohne dass das lächerlich, aufgesetzt oder belehrend wirkt. Die zweite Hürde war das riesige Ensemble, innerhalb dessen die Individuen greifbar gemacht werden mussten. Beides gelingt, teils mit großen Abstrichen.

Als das Belko-Personal eines Morgens zur Arbeit kommt, sind die ohnehin drakonischen Sicherheitsmaßnahmen nochmals verschärft, die Menschen werden penibel gefilzt, Nicht-US-Amerikaner werden rüde abgewiesen. Der mittlere Angestellte Mike (John Gallagher Jr.) schluckt das trotz Befremden und taucht wie immer ein in die international angeglichene Sachbearbeiter-Routine, bestehend aus dem Schreiben von E-Mails, dem Knüpfen von männlichen Seilschaften und dem Flachlegen einer Kollegin. Doch dann fahren die Stahlwände vor die Fenster. Innerhalb von Sekunden ist das Hochhaus hermetisch abgeriegelt, aus der Lautsprecheranlage erschallen gruselige Anweisungen: Wenn nicht innerhalb einer halben Stunde zwei Mitarbeiter tot sind, werden vier sterben. Ein Scherz? Vier explodierende Köpfe belegen kurze Zeit später den blutigen Ernst der Lage. Nach dieser Machtdemonstration werden die »Aufgaben« gesteigert: Von den 80 verbliebenen Angestellten müssen in einer Frist 30 sterben, egal wie, oder alle werden dran glauben müssen.

Die nun entstehenden Gruppendynamiken sind das eigentliche Thema des Films. Wird man schon zum Unmenschen, wenn man nur laut überlegt, dass 30 Tote besser sind als 80? Wer wird schnell und nur allzu bereitwillig zum Schlächter, wer hält die Menschlichkeit am längsten hoch? Und so bietet der Film sowohl »philosophische« Debatten als auch an Verbrechen deutscher Einsatzgruppen in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs erinnernde, eiskalte Massenerschießungen. Zur Disziplinierung haben die Versuchskaninchen Sprengkapseln im Kopf - angeblich Peilsender für den Fall einer Entführung.

Was Gunn und McLean hier ausbreiten, ist das in die endgültige Perversion getriebene, ohnehin schon perverse McKinsey-Prinzip der rücksichtslosen Maximierung menschlichen/unmenschlichen Potenzials. Hier wird der Kampf ums (nicht nur berufliche) Überleben zudem noch mit einem für die sadistischen Organisatoren sehr unterhaltsamen Gladiatoren-Kampf verbunden. Und am Schluss, so ist zumindest der Plan, sind die Schwachen nicht nur aussortiert, sondern auch gleich komplett (und ohne Sozialplan) entsorgt. Die Überlebenden dagegen sind nicht nur durch die Extremsituation gestählt, sondern durch die Verbrechen, die sie zum Überleben begehen mussten, auch noch erpressbar und dadurch Wachs in den Händen ihrer Herren.

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