Illegale Schnüffelei

Der Göttinger Staatsschutz scheint Linke jahrelang überwacht zu haben, einfach nur, weil sie links sind

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 4 Min.

Offenbar über Jahre hinweg und mindestens bis 2015 hat das Staatsschutzkommissariat der Göttinger Polizei ohne rechtliche Grundlage Daten von Linken gesammelt. Betroffen sind mehrere Hundert Menschen, darunter auch Mitglieder von Parteien und ihren Jugendorganisationen. Die genaue Anzahl der Ausgespähten ist bislang unbekannt. Acht von ihnen klagen jetzt vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme.

Nach Angaben der Rechtsanwälte Sven Adam und Christian Woldmann füllen die »offensichtlich ungesetzlich angelegten« Akten mit personenbezogenen Daten fünf Ordner. In der verdeckt angelegten Sammlung seien Namen, Adressen, körperliche Merkmale, Religionszugehörigkeit, Arbeitsplätze, Informationen über Social-Media-Profile, die Zugehörigkeit zu Organisationen und Vereinen sowie Fotos enthalten. »Ein Zusammenhang der Daten zu laufenden Ermittlungen gegen die Betroffenen oder bestimmten Ereignissen bestand offenbar nicht«, konstatieren die beiden Juristen.

Nach ihren Angaben übertrifft der Umfang der Sammlung sogar diejenige der in der 1980er Jahren rechtswidrig erhobenen, angeblich vernichteten und später doch wieder aufgetauchten »Spudok«-Dateien. In diesem »Spurendokumentationssystem« hatte die Göttinger Polizei zahlreiche Mitglieder von Bürgerinitiativen und linken Organisationen erfasst, darunter auch den späteren Bundesumweltminister Jürgen Trittin. »Für eine Datensammlung in dieser Größe und Tiefe gibt es im Niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht keine Rechtsgrundlage und kann es auch nicht geben«, sagt nun Anwalt Adam. Diese Datenerfassung sei mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung »schlicht nicht vereinbar«.

Dass die Sammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt worden sei, belegt Adam zufolge, dass der Vorgang für den »Rest der Polizei« unbekannt bleiben sollte. Das 4. Fachkommissariat, also der Staatsschutz, »scheint insoweit ein Eigenleben entwickelt zu haben«.

Das bestätigt indirekt auch Polizeipräsident Uwe Lührig. Die in Rede stehenden Datenspeicherungen seien der Polizeidirektion 2016 »erstmalig zur Kenntnis gegeben« worden, sagte er gestern: »Im Rahmen von Verwaltungsermittlungen wurde bekannt, dass die Unterlagen bereits vernichtet wurden«. Die Polizeidirektion habe darüber hinaus beim Staatsschutzkommissariat eine Geschäftsprüfung angeordnet, diese habe aber zu keinen weiteren Beanstandungen geführt.

Bekannt wurde die Existenz der Ordner durch ein Ermittlungsverfahren gegen einen ehemaligen Polizisten. Dem 63-Jährigen wird versuchte Erpressung und versuchte Nötigung zur Last gelegt. Er soll während seiner Tätigkeit als Kriminaloberkommissar amtliche Unterlagen an sich genommen haben, um sie später als Druckmittel für eine Beförderung einzusetzen. Bei einer Durchsuchung der Wohnung des pensionierten Beamten waren Kopien der Datensammlung gefunden worden.

Anwalt Woldmann hält die Vorwürfe für absurd. »Das Anfertigen von Kopien und Fotos zur Beweissicherung erfüllt keinen Straftatbestand«, sagt er. Dass der Polizist zwei Jahre nach seiner Pensionierung einen Erpressungsversuch gestartet haben könnte, sei schon nach Aktenlage blanker Unsinn. Er habe lediglich intern gegen eine offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert. Es liege daher nahe, dass das Ermittlungsverfahren den Beamten diskreditieren und von den massenweise rechtswidrig erhobenen Daten ablenken solle.

Die Polizei in Göttingen hat inzwischen bestätigt, dass eine Klage wegen der Datensammlung beim Verwaltungsgericht eingegangen ist. Sie kennt den genauen Inhalt dieser Klage aber nicht. »Wir wissen noch nicht, was uns konkret vorgeworfen wird«, sagte eine Sprecherin.

Die Grünen und linke Organisationen üben scharfe Kritik an der Datensammelei. »Es ist empörend, dass jahrelang Menschen, die der linken Szene zugeordnet wurden, verfassungswidrig überwacht und in ihren Grundrechten verletzt wurden«, sagt Marie Kollenrott vom Göttinger Stadtvorstand der Grünen. Die Grüne Jugend – ein Mitglied zählt selbst zu den Betroffenen – erklärte: »Diese Praxis ist unfassbar und erfordert eine unmittelbare und lückenlose Aufklärung sowie radikale Konsequenzen für die Verantwortlichen.

Für die «Antifaschistische Linke International» ist das Vorgehen der Göttinger Polizei «keine Überraschung». Die Bezeichnung der Ordnersammlung als «LIMO» (Polizeibegriff für links-motivierte Straftäter) lege das Feindbild der Staatsschützer offen. Die «Basisdemokratische Linke» kündigte Proteste an. Die Gruppe fordert die umgehende Auflösung des Staatsschutzkommissariats. Zudem müssten alle Daten an die Betroffenen herausgegeben und aus sämtlichen Archiven gelöscht werden.

Nicht nur beim Sammeln von Daten über Linke zeigt sich die Polizei in Südniedersachsen eifrig: Rund 80 Strafverfahren gegen Nazigegner hat die Polizei in der Region 2016 eingeleitet. Anfang Juni stand eine 60-Jährige Antifaschistin in Göttingen vor Gericht, weil sie einen Neonazi mit roten Sternchen bepudert haben soll.

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