Debatte im Bundestag: Wendung im Rentenstreit

Koalition ringt um Mehrheit für das Rentenpaket. Linke will sich enthalten

Wie viele der Kritiker um die Junge Gruppe um Johannes Winkel (CDU) mit Nein stimmen werden, bleibt offen.
Wie viele der Kritiker um die Junge Gruppe um Johannes Winkel (CDU) mit Nein stimmen werden, bleibt offen.

Die schwarz-rote Koalition steht vor einer kritischen Bewährungsprobe. Am Freitag soll der Bundestag über das Rentenpaket der Regierung abstimmen – doch ob die erforderliche Mehrheit zustande kommt, war lange ungewiss. In einer Probeabstimmung der Unionsfraktion am Dienstag votierten nach Angaben von Teilnehmern zwischen zehn und 20 Abgeordnete gegen die Vorlage, einige enthielten sich. Das Problem: CDU, CSU und SPD verfügen im Parlament lediglich über eine Mehrheit von zwölf Stimmen.

Der Widerstand konzentriert sich auf die sogenannte Junge Gruppe der Unionsfraktion, der 18 Abgeordnete angehören. Ihr Haupteinwand: Das Rentenpaket sieht vor, das Rentenniveau – das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsverdienst – über 2031 hinaus bei 48 Prozent zu stabilisieren. Nach Angaben der Kritiker entstünden dadurch Folgekosten für künftige Generationen.

Unerwarteter Rückenwind kommt von der Opposition. Die Linksfraktion kündigte am Mittwoch an, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Damit sinkt die nötige Mehrheitsschwelle rechnerisch von 316 auf nur noch 252 Stimmen und ändert die Situation völlig. Selbst bei Dutzenden Abweichlern in der schwarz-roten Koalition könnte das Rentenpaket damit durchgehen. »Wir werden nicht akzeptieren, dass das Rentenniveau noch weiter gedrückt wird«, erklärte Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek. »An uns wird es somit nicht scheitern, dass das Rentenniveau stabilisiert wird.«

Die Linke befürchtet, dass das Rentenniveau bei einem Scheitern dauerhaft unter die im Regierungsentwurf vorgesehenen 48 Prozent des Durchschnittseinkommens sinkt. Reichinnek kritisiert die Union scharf: Diese habe in den vergangenen Wochen ein »Machtspielchen auf dem Rücken von Millionen Rentnerinnen und Rentnern« ausgetragen. Die geplante Stabilisierung bei 48 Prozent sei »wirklich das absolute Minimum«. Die Linke fordert eine Anhebung auf 53 Prozent.

In der Union wurde hart um die Mehrheit gerungen – so auch in der Fraktionssitzung vergangenen Dienstag. Bundeskanzler Friedrich Merz warnte laut »Der Spiegel« eindringlich vor den Folgen eines Scheiterns. Deutschland gehöre zu den wenigen Ländern mit einer stabilen Regierung in Europa. »Ich akzeptiere hier, in unserem Kreis, jede Nein-Stimme und jeden Zweifel«, sagte Merz laut Teilnehmern. Aber im Plenum brauche man eine stabile politische Mehrheit. »Alles andere führt uns ins Elend.«

Die »Junge Gruppe« lehnt das Rentenpaket weiterhin ab, stellte ihren Mitgliedern das Abstimmungsverhalten frei – ein Zugeständnis, das den Raum für intensive Überzeugungsarbeit öffnete. Die Fraktionsführung setzte den potenziellen Abweichlern eine Frist bis Mittwoch, 12 Uhr, um verbindlich mitzuteilen, ob sie bei ihrer Ablehnung bleiben. Wie viele sich tatsächlich gemeldet haben, will die Unionsspitze nicht bekanntgeben. Die Abstimmung ist für Freitag um 11.20 Uhr angesetzt – namentlich, sodass jeder Abgeordnete Farbe bekennen muss.

Medienberichten zufolge soll Spahn bei Einzelgesprächen mit den Abweichlern indirekt mit hinteren, wenig aussichtsreichen Listenplätzen bei der nächsten Bundestagswahl gedroht haben. Er selbst wies dies in der ARD-Sendung »Miosga« vergangenen Sonntag zurück. »Ich führe einfach freundliche, klare Gespräche, ich drohe nicht.« Dabei sei jedoch klar, dass auch »über Szenarien und Konsequenzen« gesprochen werde.

Überraschenderweise wurde am Mittwoch dann der als Kompromiss für die Kritker gedachte Entschließungsantrag zurückgezogen. Da die Rentenkommission noch im Dezember vom Bundeskabinett eingesetzt werde, brauche es diesen nicht, hieß es aus der Führungsriege der Unionsfraktion. Der Entschließungsantrag sollte Details zur geplanten Rentenkommission enthalten. Etliche junge Abgeordnete reagierten empört. Man sei fassungslos, äußerte sich ein Mitglied der Jungen Gruppe laut »Der Spiegel«. Viele hätten aus der Presse von der Rücknahme erfahren. Bis gestern sei der Antrag noch als »großer Erfolg der Jungen Gruppe« verkauft worden. Aus der Fraktion hieß es dagegen, das Vorgehen sei intern abgestimmt gewesen, so »Der Spiegel«.

Die Fraktionsführung gibt sich konsequent optimistisch. Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigten sich »sehr zuversichtlich«, dass die Mehrheit am Freitag stehen werde.

Ein Scheitern des Rentenpakets würde auch zentrale Anliegen der Union blockieren, wie die Ausweitung der Mütterrente und die Aktivrente. Ein Scheitern würde daher nicht nur die SPD treffen. Außerdem hätte dies Auswirkungen auf die Zukunft der Regierung: Nach dem Debakel um die geplatzte Richterwahl im Juli und die Streitigkeiten um die Reform der Wehrpflicht markiert das Rentenpaket die Haltelinie der SPD, weitere Brüche des Koalitionsvertrags durch die Union nicht hinzunehmen.

Am Freitag wird sich zeigen, ob die Mischung aus Appell, Druck und der Drohkulisse einer Regierungskrise ausreicht, um die jungen Rebellen zur Räson zu bringen. Durch die Enthaltung der Linken ist die Mehrheit erheblich wahrscheinlicher geworden. Mit Agenturen

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