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Phantasie und Spiel

Die Inselgalerie zeigt in neuen Räumen in Friedrichshain ihre Eröffnungsausstellung

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon wieder mussten sie umziehen, die Frauen von der Inselgalerie, von der Torstraße in die leeren Sparkassenräume der Petersburger Straße am Bersarinplatz. In der Eröffnungsausstellung spielen vier Berliner Künstlerinnen - Susanne Britz, Juliane Ebner, Fanny Galera und Mirella Pietrzyk - mit der neuen Örtlichkeit, ihren Vorzeichen und neuen Bedeutungen: Die Verbindungsglieder wurden vertauscht: Spar Galerie - Insel Kasse. Dada lässt grüßen.

Die in Polen gebürtige Malerin und Modedesignerin Mirella Pietrzyk hat sich mit ihren grotesk-phantastischen Frauengestalten, teils Mensch, teils Tier, auf bewusste Provokation und ausgeklügelte Verblüffungseffekte verlegt. Ihre Figurationen haben Facettenaugen, mehrere Brüste, sie tragen gewaltige Haartrachten, sind von Meeresbewohnern umgeben oder mit ihnen verwachsen. Hat die Malerin hier Verzerrungen, Missbildungen, Entartungen als Symbole der allgemeinen kulturellen Situation empfunden und eingesetzt? Es ergibt sich hier eine enge Beziehung zwischen Surrealismus und engagierter Kunst.

Sie hat so ihre eigene »Mythologie« geschaffen. Die Wirklichkeiten ihrer Erlebniswelt durchdringen sich gleichzeitig, und jedes Moment bricht mehrfach aus dem gleichen Moment hervor: Die psychische Wirklichkeit überströmt die äußere Realität mit unaufhaltsamer Intensität. Halluzinatorische Wunsch- oder Angstträume werden mit den Mitteln der bürgerlichen Wirklichkeit realisiert. Mirella Pietrzok ist mit ihrer Kunst in einem Grenzbereich angesiedelt, was dem nicht widerspricht, dass ihre Bilder faszinieren. Das resultiert aus der scheinbaren Anteillosigkeit und der Gefühlskälte des Vortrags, dem »luftleeren« Raum zwischen Bild und Betrachter. Alles ist mit Präzision auf das Funktionieren des Bildes als Spiel und als Gesamtgestalt hin aufgebaut.

Für Susanne Britz wird das Atelier zum »Labor« - sie hat es in der Galerie eingerichtet und arbeitet hier auch täglich an ihrer Installation. Sie versteht sich aber nicht als Naturwissenschaftlerin, sondern als Künstlerin, die mit den Mitteln der Kunst nach anderen Formen der Erkenntnis sucht als denen, die uns die Wissenschaft bieten kann.

In spielerischer Versuchsordnung hat sie Gegenstände ausgebreitet, die, ihrer Gebrauchsfunktion beraubt, das Raum- und Liniengerüst für gleichsam »begehbare« digitale Zeichnungen bilden. Britz zeichnet mit der Computermaus auf digitalen Fotos, die sie selbst von ihren Installationen angefertigt hat, verändert und kommentiert sie und bringt sie dann wieder in ihre Installationen ein. Durch ihre Überzeichnungen sind weitere Bildebenen eingezogen worden, die auf verblüffende Weise die Vorstellung von Raum vermitteln.

»Mich interessieren die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen«, bekennt wiederum die in Spanien geborene Bildhauerin Fanny Galera. Sie schließt Porzellanfigürchen - liegend, sitzend, sich streckend, mit ringenden Händen - jeweils in eine Glasglocke ein. »Ich atme deine Stille« ist der Titel dieser 40-teiligen Installation: Jede Figur befindet sich in einer unendlichen Einsamkeit, die zugleich gähnende Leere ist. »Für Dich«, eine Installation aus zehn Teilen: Weiße Arme strecken sich aus der Wand dem Betrachter entgegen. Die Hand will besitzen. Bei Fanny Galera aber will sie geben. »Wünsche«: Offene Gebäudegebilde hängen von der Decke, mehrstöckig, mit Paar- und Einzelfiguren, Fäden verbinden sie miteinander oder mit Objekten. Menschen auf der ewigen Suche nach Glück.

Die Video- und Animationskünstlerin Juliane Ebner zeigt einen Film - »Schwebeteilchen« - über die Gegenwärtigkeit des Vergangenen und die Abgründe, die sich nicht schließen lassen. Szenen und Zeichen hat sie zu groß- und breitformatigen Bildern gruppiert, in denen die Erfahrungen von Anziehung, Verschmelzung, Abstoßung zum Ereignis werden. Man glaubt, der Sekundenbruchteil eines fließenden Prozesses sei hier festgehalten worden, dessen zeitliche Verschiebung sofort eine veränderte Konstellation ergeben müsse. Der Eindruck der Polarität der Formen wird verstärkt durch die Polarität von Licht und Schatten, die bei der Beleuchtung der Elemente entsteht und je nach der Richtung des Lichts das Element des »Zufalls« betont.

In die Auseinandersetzung mit ihrer - unserer - Lebenswirklichkeit, in ihre Vexierbilder der Wirklichkeit bringen die Künstlerinnen spielerisch, phantasievoll Neues ein, sie vermitteln Entdeckerfreude, Betroffenheit, Nachdenklichkeit wie sinnliche Faszination zugleich.

»Spar / INSEL Galerie / Kasse. Susanne Britz, Juliane Ebner, Fanny Galera, Mirella Pietrzyk«, bis zum 29. Juli in der Inselgalerie, Petersburger Str. 76A, Friedrichshain

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