Anwälte zeigen Polizisten an
Affaire um illegale Göttinger Datensammlung weitet sich aus
Hat die Polizei in der Affäre um das offenkundig rechtswidrige Anlegen einer Datenbank von Hunderten der Göttinger linken Szene zugerechneten Personen Beweismittel vernichtet? Dieser Verdacht steht nach Ansicht der Rechtsanwälte Sven Adam aus Göttingen und Christian Woldmann aus Hamburg im Raum. Die beiden Juristen haben deshalb Anzeige gegen »zunächst unbekannte« Beamte des Staatsschutz-Kommissariats der Polizeiinspektion Göttingen gestellt. Der Fall, der ohnehin schon große Wellen geschlagen hat, weitet sich damit noch einmal aus.
Am vergangenen Freitag war bekannt geworden, dass besagtes Staatsschutz-Kommissariat zumindest bis 2015 ohne rechtliche Grundlage Daten von zahlreichen Linken gesammelt hat. Nach Angaben der beiden Rechtsanwälte füllen die Akten fünf Ordner. Die Sammlung enthält demnach Namen, Adressen, körperliche Merkmale, Religionszugehörigkeit, Arbeitsplätze, Informationen über Social-Media-Profile, die Zugehörigkeit zu Organisationen, E-Mail-Korrespondenzen sowie Fotos. Die genaue Anzahl der Ausgespähten ist bislang unbekannt. 14 Betroffene klagen vor dem örtlichen Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme.
Weil die Sammlung nicht digital geführt wurde, haben Adam und Woldmann den Verdacht, dass der Vorgang für den »Rest der Polizei« unbekannt bleiben sollte. Der Staatsschutz scheine »ein Eigenleben entwickelt zu haben«, mutmaßen die Anwälte. Das bestätigte am Wochenende indirekt auch Göttingens Polizeipräsident Uwe Lührig. Die Datenspeicherungen seien der Polizeidirektion - ihr ist die Inspektion unterstellt - erst 2016 »zur Kenntnis gegeben« worden. Lührig sagte auch, »dass die Unterlagen bereits vernichtet wurden«. Wann, von wem und auf wessen Veranlassung, teilte der Polizeichef aber nicht mit.
»Wir haben nach dieser Information bereits am Samstag gegenüber der Staatsanwaltschaft Göttingen die Beschlagnahme der Löschprotokolle sowie sämtlicher Dienstrechner des Staatsschutzes und deren Auswertung beantragt«, sagt Adam. Die nun bekannt gewordene Vernichtung der Unterlagen verhindere die vollständige Aufarbeitung und erschwere den Nachweis der Verantwortlichkeiten. Es handele sich möglicherweise um eine Beweismittelvernichtung.
»Der Kollege Adam und ich haben bei der Staatsanwaltschaft Göttingen Strafanzeige gegen zunächst unbekannte Polizeibeamte wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung im Amt, der Unterdrückung von Beweismitteln und der Urkundenunterdrückung erstattet«, berichtet Woldmann. Der Hamburger Jurist verteidigt auch einen pensionierten Göttinger Polizisten. Durch ein Ermittlungsverfahren gegen diesen Beamten war die Datensammlung erst bekannt geworden. Er hatte intern gegen die Datensammlung protestiert und soll die Polizeiinspektion damit unter Druck gesetzt haben.
Unterdessen hat sich Polizeichef Lührig in der Angelegenheit ein zweites Mal zu Wort gemeldet. Die Polizeidirektion habe aufgrund der Klageverfahren »die internen Untersuchungen mit sofortiger Wirkung intensiviert«, sagte er. Die genauen Umstände und die zeitlichen Abläufe im Fachkommissariat »Staatsschutz« der Polizeiinspektion würden nun »vertiefend untersucht«, versprach er.
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