Nicht so zaghaft!

Über sichere Renten und was wir von Österreich lernen können - und was nicht

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 2 Min.

Die DGB-Gewerkschaften haben sich in diesem Bundestagwahlkampf das existenzielle Thema Renten auf die Fahnen geschrieben. Dass Altersarmut keine Horrorvision der Zukunft, sondern längst Lebenswirklichkeit für Millionen Menschen geworden ist, zeigen Heerscharen von Senioren, die in Abfallkörben nach Pfandflaschen suchen oder sich als Minijobber etwas dazu verdienen.

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di läuft dieser Tage eine Aktionswoche unter dem Motto »Gute Löhne - gute Rente«. Wie viele kritische Zeitgenossen blickt auch ver.di-Chef Frank Bsirske sehnsüchtig auf das Nachbarland Österreich. Dort habe man in den 2000er Jahren die Teilprivatisierung der Rente nicht mitgemacht und die gesetzliche Rente ausgebaut, »statt die Bevölkerung zum Riestern aufzufordern«. Dementsprechend liege die gesetzliche Rente in Österreich heute im Schnitt um 500 Euro höher als in Deutschland, so Bsirske.

Dass mit dem SPD-Arbeitsminister Walter Riester ausgerechnet die ehemalige Nr. 2 der IG Metall die gesetzliche Rente aushöhlte und die Privatisierung der Altersversorgung vorantrieb, ist für sozialdemokratisch ausgerichtete Gewerkschaften ein wunder Punkt. Obwohl damals kritische Stimmen genau die Altersarmut prophezeiten, die jetzt weiter um sich greift, gab es keinen nennenswerten Widerstand gegen die von Lobbyisten der Finanzwirtschaft geschriebenen Riester-Pläne. Später boten manche DGB-Gewerkschaften ihren Mitgliedern gar Rabatte auf Riester-Verträge an.

In Österreich lösten 2003 ähnliche Pläne der damaligen Rechtskoalition immerhin politische Massenstreiks aus. Es war die größte Bewegung seit den frühen 1950er Jahren. Die ÖGB-Führung bremste den Streik aus und erreichte im Gegenzug eine längerfristige zeitliche Streckung der Rentenkürzungen. So erklärt sich, dass die heutige Rentnergeneration in Österreich im Schnitt besser gestellt ist als in Deutschland. Doch die Verschlechterungen (»Reformen«) gehen auf leisen Sohlen weiter. Die »Rente 67« ist beschlossen. So werden auch im Nachbarland die unter 50-Jährigen nach Stand der Dinge im Alter deutlich ärmer sein als die jetzigen Senioren. Die meisten ÖGB-Führer, die dies 2003 hinnahmen, werden dann längst tot sein.

Angriffe auf öffentliche Renten- und Pensionssysteme und deren Privatisierung sind Bestandteil einer weltweiten Offensive des Kapitals zur massiven Lohnsenkung. Es ist kein Zufall, dass die chilenische Pinochet-Diktatur hier in den 1980er Jahren ein Vorreiter war. Jüngst sind in Chile Millionen gegen Privatrenten und für eine Rückkehr zur gesetzlichen Rentenversicherung auf die Straße gegangen. Der Kampf für ein sorgenfreies Alter und eine Abkehr von der Rentenprivatisierung muss international geführt werden.

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