Unübersichtlich, inkonsequent, verzögert

Die am Donnerstag vom Bundestag beschlossene Reform der Pflegeberufe macht diese noch lange nicht attraktiv

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Die am Donnerstag mit den Stimmen der Regierungsparteien im Bundestag beschlossen Reform der Pflegeberufe hat das Zeug, zum Dauerbrenner unter den Gesundheitsreformen zu werden. Noch vor kurzem war unklar, ob das Gesetz in dieser Legislaturperiode das Parlament passieren würde. Nun wurde es zwar verabschiedet, aber vor dem Inkrafttreten 2020 muss der Bundestag sich über Details einigen.

Nach dem Willen von CDU und CSU wurde der ursprüngliche Termin 2019 verzögert. Mit dem Gesetz soll eigentlich die Trennung von Alten- und Krankenpflege aufgehoben werden, aber auch das wurde nicht konsequent verfolgt. Befürworter und Gegner der verschiedenen Ansätze gibt es in Regierung und Opposition. Selbst innerhalb der SPD war man uneins.

Die Opposition hatte harte Kritik am Vorgehen der Bundesregierung geübt. Bis Ende Mai wurde das Gesetzgebungsverfahren um fast ein Jahr verzögert, dann folgten plötzlich 46 Änderungsanträge auf 81 Seiten. Eine Sitzung des Gesundheitsausschusses wurde unterbrochen, weil sich die Regierungsparteien nicht einig waren, monierte die pflegepolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Pia Zimmermann. »Die geplanten Änderungen machen die Pflegeausbildung noch unübersichtlicher«, kritisierte sie. Das liegt auch daran, dass selbst innerhalb der generalistischen Ausbildung Vertiefungen für Alten- und Kinderkrankenpflege möglich sind. Zimmermann geht davon aus, dass mit dem Gesetz die Altenpflege auf der Strecke bleibt.

Ähnlich ist die Kritik der Grünen gelagert: Die generalistische und die integrative Ausbildung würden nun parallel getestet, unklar seien deren Abgrenzung gegeneinander, die praktische Umsetzung - und ob am Ende nicht doch Alten- und Kinderkrankenpflege erhalten bleiben. »Es geht nicht um irgendetwas«, so die Grünen-Pflegeexpertin Elisabeth Scharfenberg, »Über 130 000 Menschen absolvieren jährlich eine Pflegeausbildung, weit über eine Million Menschen sind in einem Pflegeberuf tätig.« Dafür, dass nach Bekunden des CSU-Politikers Georg Nüßlein die Pflege »das Topthema dieser Legislaturperiode« war, ist bei der Reform der beteiligten Berufe wenig passiert. Gerade CSU-Bundestagsabgeordnete hatten sich lange gegen eine grundlegende Ausbildungsreform gestemmt - obwohl es etwa in Bayern in vielen Regionen keine arbeitslos gemeldeten Altenpfleger mehr gibt.

Gefordert wird das Pflegeberufegesetz unter anderem vom Deutschen Pflegerat sowie von großen Trägern und Arbeitgebern. Sie setzen wohl auch darauf, dass sie dann aus einem größeren Pool die besten Kräfte rekrutieren können. Mittelständische Anbieter beklagen dagegen, dass Hauptschülern der Zugang zur Ausbildung verwehrt sein könnte. Zudem müssten sie für die künftigen Generalisten tiefer in die Lohnkasse greifen. Die Verbände der Altenpflege lehnen die Vereinheitlichung der Ausbildung ebenfalls ab und warnen vor einer faktischen »Abschaffung« des Berufs. Das Gesetz werde den Fachkräftemangel eher verschärfen.

Auch in der Kinderkrankenpflege gibt es Bedenken: Die Interessenten für diesen Beruf wollten weder Alte noch kranke Erwachsene pflegen. Hier könnten potenzielle Bewerber verloren gehen. Zudem befürchten auch Kinderärzte, dass Detailwissen verloren gehe, weil die einjährige Spezialisierung nicht ausreichend sei.

Ursprünglich sollte die Spezialisierung nach einer allgemeinen dreijährigen Ausbildung beginnen - parallel zur begonnenen Tätigkeit. Hier blieb jedoch offen, wer die Spezialisierung wie finanzieren sollte. Von Akademisierung war die Rede, Aufstiegschancen wurden in Aussicht gestellt. Von Pflege-Studiengängen ist nun offenbar nicht mehr die Rede. Damit bleibt die Koalition hinter europäischen Mindeststandards zurück.

Die Diskussion wird sich fortsetzen, wenn es in der nächsten Legislaturperiode um die Details der Lehrinhalte und die Ausgestaltung der Ausbildung gehen wird. Es bleibt unklar, was die mit dem Gesetz versprochene Modernisierung genau bedeutet, wie das Ganze finanziert wird und dem Fachkräftemangel vor dem ersten Absolventenjahrgang - frühestens 2023 - begegnet werden soll. Spätestens nach der geplanten Evaluierung des Gesetzes 2026 wird die Politik sich mit dem Thema beschäftigen müssen, was die Attraktivität der Pflege am meisten bestimmt - mit einer angemessenen Entlohnung des Personals.

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