Alles nur schwarz-weiß

Das Deutsche Historische Museum zeigt Pressefotografie aus dem Ullstein-Bildarchiv

Ein kleiner syrischer Junge hockt in einer Trümmerwüste, apathisch, matt, die Kleidung staubbedeckt, das Gesicht blutverschmiert. »Ein furchtbares Schicksal, jeder möchte Omran in den Arm nehmen und trösten«, schreibt Michael Lüders in seinem Buch »Die den Sturm ernten« (C. H. Beck). Der Knabe wurde zur Ikone der Schlacht um Aleppo, exakter: der Brutalität des Assad-Regimes. Das Leid des kleinen Jungen - missbraucht für eine große Lüge. Nachdem das Bild um die Welt gegangen war, wollte der Vater des Kindes den wahren Sachverhalt aufklären. Es interessierte niemanden. Symbolik ist mächtiger, mag sie noch so falsch sein. Was in diesem Fall besonders perfide ist: Das Foto stammt von einem Reporter des »Aleppo Media Center«, der im Internet ein Selfie mit Dschihadisten postete, die vier Wochen zuvor einen Zwölfjährigen für ein Propagandavideo geköpft hatten.

Seit der Erfindung der Pressefotografie wird gelogen, betrogen, retuschiert, inszeniert und zensiert. Beispiele hierfür finden sich in der neuen Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM). Zu deren Eröffnung stellte sich der neue Direktor des Hauses Unter den Linden erstmals öffentlich vor. Raphael Gross würdigte, in wohlklingendem, gehauchtem Schwyzerdütsch, die Pressefotografie als ein Medium der Augenzeugenschaft, Quelle für Historiker und beweiskräftiges Material vor Gericht, verwies aber auch darauf, dass sie oft Unwahrheiten und Scheinwelten kolportiert.

Die Exponate der Schau stammen aus dem reichen Fundus des im Jahre 1900 gegründeten Ullstein-Bildarchivs. Die Qual der (Aus)Wahl zeittypischer und aussagekräftiger Fotos hatten die Kuratorinnen Carola Jüllig (DHM) und Katrin Bomhoff (Ullstein Bild). Da es menschliche Ausdauer und (Seh)Kraft sprengen würde, fünf Millionen Bilder zu sichten, haben die beiden Wissenschaftlerinnen Jahrgang um Jahrgang die »Berliner Illustrirte Zeitung« (BIZ) durchgeblättert und sich hernach auf die Spur der Originale interessanter Fotos und ihrer Geschichten begeben.

1894 hatte Leopold Ullstein die BIZ gekauft, die nun rasch zur meistgelesenen Illustrierten in Deutschland avancierte, eine Auflage von fast zwei Millionen erreichte, den Lesern Politik, Kultur, Wissenswertes, Klatsch und Tratsch und den berühmten Fortsetzungsroman lieferte - für nur 10 Pfennige. Die Beliebtheit des Blattes verdankte sich dem langjährigen Chefredakteur Kurt Korff, dessen Credo lautete: »Immer wieder Neues zeigen.« Er holte sich die besten und berühmtesten Fotografen an Bord. Präsentiert werden in der Ausstellung 340 Originalabzüge von Fotografen und Agenturen, darunter Zander & Labisch und die nach 1933 ins Exil gezwungenen Starfotografen Philipp Kester, Martin Munkacsi und Felix H. Man sowie der 1944 in Auschwitz ermordete Erich Salomon und Yva (Else Ernestine Neuländer-Simon), 1942 in Sóbibor vergast. Präsentiert werden in der Schau auch Fotos von NS-Vertretern der Zunft, so Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, Max Ehlert und Rosemarie Clausen. Korff musste mit Machtantritt der Nazis die BIZ verlassen, er ging 1935 in die USA.

Die Exposition ist raffiniert gestaltet. Gleich einem von einer Druckmaschine ausgespuckten Papierbandwurm schlängelt sich die Ausstellungswand mit den historischen Fotos - alle schwarz-weiß, manche vergilbt - durch den Raum. Man muss mannshohe Zeitungsstapel umgehen. Gezeigt wird, wie die Fotokameras immer kleiner, handlicher wurden. In einem Schaukasten ist eine Schachtel mit der Aufschrift »Agfa« zu sehen; die Firma fusionierte 1925 mit dem späteren Kriegsverbrecherkonzern I. G. Farben. Eine etwas abseitige, stille Ecke lädt zur Lektüre ein: zwei Bänke, dazwischen ein Garderobenständer, an dem Zeitungsstöcke hängen, in denen die »Ilustrirte« klemmt. Die Schau schließt passend mit dem Impressum ab, das nicht nur die Kuratoren, Konservatoren und Grafiker, sondern auch die mitwirkenden Maler und Tischler vermerkt. Bravo.

Chronologisch werden Kaiserreich, Weimarer Republik und »Drittes Reich« abgehandelt. Wilhelm Zwo in allen Posen und bei diversen Paraden, auch bei seiner in kaum einem Geschichtsbuch fehlenden »Hunnenrede« am 27. Juli 1900 in Bremerhaven. In Literatur und Presse wird nach wie vor mit falscher Bildunterschrift ein Foto veröffentlicht, das am 28. Juni 1914 in Sarajevo »geschossen« wurde: Bei dem von Gendarmen verhafteten Mann handelt es sich nicht um Gavrilo Princip, den Attentäter auf den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand.

In Weimarer Jahren lugten die Fotografen kritischer durch ihre Linsen, wie Einblicke in Erwerbslosenküchen und Hinterhöfe von Mietskasernen dokumentieren. Glanz und Glamour bleiben beliebte Motive. Prominente wie Max Schmeling werden immer wieder abgelichtet. Zu entdecken ist in dieser Schau auch der russische Schauspieler Wladimir Gaidarow, der 1921 nach Berlin kam und in 20 Ufa-Filmen mitwirkte, bis er 1933 in die Sowjetunion zurückging, wo der Stalinpreisträger (für seine Rolle als General Paulus in »Stalingradskaja bitwa«) 1976 hochbetagt in Leningrad verstarb. Und da ist auch Carola Neher, passend zum Thema der Schau an einer Schreibmaschine sitzend, ein Szenenfoto aus dem Lustspiel »Soeben erschienen«. Auch die einstige »Polly« in Brechts Dreigroschenoper musste 1933 emigrieren, gehörte in Moskau zur berühmten »Kolonne Links«, geriet dann in die Mühlen von Stalins »Großem Terror« und starb im Gulag 1942. Solch nähere Informationen bietet die Ausstellung leider nicht. Der Besucher erfährt auch nicht, dass der Fotoreporter für United Press, der Kommunist John Graudenz, zum Widerstandskreis der »Roten Kapelle« gehörte und 1942 in Berlin-Plötzensee erhängt wurde. Die Ausstellung geizt mit Texten, lässt aber wissen: »So unruhig die Republik politisch war, so produktiv und kreativ waren Kunst und Kultur vor allem der 1920er Jahre.« Daran beteiligt waren diese Drei.

Für die NS-Jahre stehen »Führer«-Kult und scheinheilige Bilder von Göring und Goebbels als brave Familienväter sowie Aufnahmen aus dem Ghetto, mit denen die Opfer entmenschlicht, entwürdigt, verhöhnt werden sollten. Wie Bilder demagogisch eingesetzt wurden, zeigen auch die Fotos aus dem Reichstagsbrandprozess vom Holländer Marinus van der Lubbe, zusammengesunken und mit hängendem Kopf.

Für die Instrumentalisierung von Fotos lassen sich ebenso in der Nachkriegszeit zahllose Beispiele finden. So erschien dereinst in der »Bild«-Zeitung als angeblicher Beleg für ein »Kinder-KZ im Ulbricht-Staat« ein Foto mit pausbäckige Jungen und Mädchen in gestreiften Bademänteln. Die Ausstellung endet leider 1945, eine Fortsetzung wäre wünschenswert. Dass die Schau von der Axel Springer Syndication GmbH mitgetragen wird, hat Geschmäckle. Der 1934 arisierte Zeitungsverlag Ullstein gehört samt Bildarchiv heute dem Medienimperium, dessen Namenspatron nicht nur zu NS-Zeiten antisemitische Artikel verfasste, sondern der nach dem Krieg stramme NS-Journalisten und NS-Fotografen weiter beschäftigte.

»Die Erfindung der Pressefotografie. Aus der Sammlung Ullstein 1894 - 1945«, DHM, bis 31. Oktober, tägl. 10-18 Uhr, 8 €, erm. 4 €, Katalog.

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