Auf einmal widerständig

SPD will sich bei der Entscheidung zur Ehe für alle von der Union emanzipieren

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

In Wahlkampfzeiten wird der Ton zwischen den Koalitionären rauer. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wetterte am Dienstag vor der Bundespressekonferenz über die »Blockadehaltung der Union« in dieser Legislaturperiode. »Wir hätten viel erfolgreicher sein können, wenn wir nicht von unserem Koalitionspartner daran gehindert worden wären«, sagte Schulz. Als Beispiele nannte der empörte Sozialdemokrat unter anderem die nicht verwirklichte »Solidarrente«. Zudem habe die SPD bei der »Mietpreisbremse« mehr gewollt. Neben Schulz saßen die sechs sozialdemokratischen Bundesminister der Großen Koalition sowie Fraktionschef Thomas Oppermann und die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz. Sie nickten zustimmend, während ihr Parteichef redete.

Nun hat die SPD ein Thema gefunden, bei dem sie hofft, einen Keil in die Union treiben zu können und sich drei Monate vor der Bundestagswahl als eigenständige Kraft in der Regierung zu positionieren. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Montagabend bei einer Veranstaltung auf die Frage nach der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geantwortet, dass es aus ihrer Sicht in Richtung Gewissensentscheidung gehe. Die CDU-Chefin ließ den Zeitpunkt für eine mögliche Entscheidung ohne Fraktionszwang offen. Dagegen wollen die Sozialdemokraten laut Oppermann »in dieser Woche« eine Abstimmung des Bundestags erzwingen. »Die Ehe für alle gehört zu einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft«, erklärte Schulz. Die sexuelle Orientierung dürfe nicht zu Benachteiligungen im Alltag führen.

Die SPD favorisiert einen Gesetzentwurf vom Bundesrat zu dem Thema, um die eigenen Landesregierungschefs als treibende Kraft darzustellen. Im Rechtsausschuss des Bundestags hatten die Sozialdemokraten hingegen gemeinsam mit der Union die Anträge der oppositionellen LINKEN und Grünen zur Ehe für alle seit Beginn dieser Legislaturperiode vor sich hergeschoben.

Schulz verwies darauf, dass sich seine Partei dazu entschieden habe, »den Koalitionsvertrag in stürmischen Zeiten zu erfüllen«. Das werde auch weiterhin gelten. »Wir lassen die Koalition nicht platzen«, versprach der SPD-Vorsitzende. Wenn die Ehe für alle mit der Union umgesetzt werden könne, dann sei das gut. Allerdings fügte Schulz hinzu: »Wenn das nicht mit ihr geht, dann ist das auch gut.«

Einen solchen Satz hatten die Sozialdemokraten in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren vermieden, wenn es um andere Gesetzesvorhaben ging. Für soziale Projekte der SPD hätte es im Bundestag eine Mehrheit mit Linkspartei und Grünen gegeben. Trotzdem hatte sich die Partei für die Große Koalition entschieden. Das lag auch daran, dass sich Union und SPD unter anderem in der Innenpolitik nahe stehen. Gemeinsam hat Schwarz-Rot die Überwachungspolitik vorangetrieben. Beispiele hierfür waren die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und die Ausweitungen bei Online-Durchsuchungen.

Diese Punkte verschwieg Schulz in seiner Bilanz der sozialdemokratischen Regierungspolitik ebenso wie die Verschärfungen des Asylrechts und die zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr. Stattdessen lobte er einige »Meilensteine«. Dazu zählte Schulz die Geschlechterquote in börsennotierten Unternehmen und das Klimaabkommen von Paris. Doch für Euphorie besteht eigentlich kein Anlass. Die Quote hat dazu geführt, dass der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten im vergangenen Jahr von 25 auf nur 27,3 Prozent gestiegen ist. Und die selbst gesteckten Klimaziele für 2020 und 2030 wird Deutschland vermutlich nicht erreichen, wie Zahlen des Umweltbundesamtes vor einigen Wochen ergaben.

Als »zentrales Projekt« lobte Schulz den Mindestlohn. Dieser habe »das Leben von vielen Menschen konkret verbessert«. Doch die Wirkungen des eher kargen Mindestlohns, der inzwischen 8,84 Euro in der Stunde beträgt, waren kurz nach seiner Einführung begrenzt. Die Zahl der Erwerbstätigen, die ergänzend zu ihrem Lohn Hartz IV beziehen, hatte sich von 1,18 Millionen im Jahr 2014 auf lediglich 1,13 Millionen im Folgejahr verringert.

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