Fall Amri: Akten wurden frisiert

Sonderermittler Bruno Jost stellt im Innenausschuss seinen Zwischenbericht vor

  • Felix von Rautenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Aufklärung zum Fall Anis Amri schreitet voran. Am Montag legte der Sonderermittler des Senats, der Ex-Bundesanwalt Bruno Jost, im Innenausschuss seinen Zwischenbericht zum Behördenhandeln im Fall des islamistischen Attentäters vor, der bei einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet hatte.

Aus verschiedenen Observationsberichten der Polizei, die Jost vorlagen, geht demnach hervor, dass der tunesische Attentäter im Vorfeld des Anschlags mit Drogen gehandelt hat. Während seiner Untersuchungen stellte der vom Senat beauftragte Sonderermittler zudem fest, dass es zwei voneinander abweichende Berichte über die kriminellen Machenschaften Amris im polizeilichen Datenregister »POLIKS« gibt: Ein ausführlicher Bericht vom 1. November 2016 beschreibt, dass Amri unter Mithilfe verschiedener Personen mit größeren Mengen Rauschgift gehandelt habe, während ein zweiter, auf den 1. November 2016 rückdatierter Bericht die Mittäterschaft anderer verschweigt und Amri »nur« den Handel kleiner Mengen vorwirft.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen den Beamten, der die Akten manipuliert haben soll. Vor dem Innenausschuss erklärt Bruno Jost: »Die Inhalte des zweiten Berichts sind fehlerhaft. Der Verfasser hat wesentliche Informationen zu Erkenntnissen der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) verschwiegen.« Beide Berichte haben verschiedene Urheber. Die Erkenntnisse des ersten Berichts hätten gleich zur Anzeige gebracht werden müssen. Das hätte Anis Amri vielleicht stoppen können. Jost sagte dazu weiter: »Hätte der erste, große Bericht, der Amri einen gewerblichen Handel mit Drogen nachweist, der Staatsanwaltschaft vorgelegen, hätte das strafprozessuale Maßnahmen verheißen, die vielleicht sogar zur Abschiebung Amris geführt hätten. Ab dem 1. November war alles schon da, es hätte nur vorgelegt werden müssen.«

Nach dem Terroranschlag hatte die Staatsanwaltschaft einen Bericht vom Landeskriminalamt gefordert. Anstatt den ersten Bericht zu bekommen, hatte ihr der Beamte, gegen den nun ermittelt wird, seinen zweiten, rückdatierten und inhaltlich frisierten Bericht zugesendet. Das Verfahren wurde daraufhin geschlossen, da der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt schon tot war. »Warum also wurde der Bericht rückdatiert?«, fragt Bruno Jost rhetorisch. »Ich sehe darin keinen sachlichen Grund. Vielmehr scheint mir das Ganze eine nachträgliche Korrektur des eigenen Versagens zu sein.« Nach Aussage des Sonderermittlers sei die Handlung des Beamten durch keine Einflussnahme Dritter verursacht worden. Laut Jost ist nun noch ein dritter Bericht aufgetaucht, der ein Zwitter der beiden anderen sei. Deshalb spreche viel dafür, dass mehrere Beamte Akten manipuliert haben. Der Zwischenbericht von Bruno Jost lässt sich ab sofort auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Inneres einsehen. Bis Ende des Jahres soll dem Innenausschuss auch ein Abschlussbericht zur Verfügung stehen, der unter anderem die Frage beantworten soll, ob der Anschlag hätte verhindert werden können.

Neben dem Sonderermittler Jost stellte auch der Karlsruher Bundesanwalt, Thomas Beck, den Stand der Ermittlungen vor dem Ausschuss dar. Obwohl Amri scheinbar unter Mithilfe anderer Drogen gehandelt hatte, hätte er keine Helfer in Deutschland bei seinem Terroranschlag gehabt. Beck sagt: »Amri hasste das Leben in Deutschland. Er war ein Theorieanhänger des Islamischen Staates (IS), entwurzelt und drogenkriminell.« Nach Aussage Becks wollte der Attentäter bereits Mitte letzten Jahres ausreisen, um sich dem IS anzuschließen. Der Bundesanwalt sagt: »Dass er hierblieb, ist vielleicht damit zu erklären, dass der IS verkündet hatte: Bleibt dort, wo ihr seid, da nützt ihr uns mehr.« Obwohl Anis Amri als Gefährder eingestuft worden war, wurde seine Observation Mitte Juni 2016 abgebrochen.

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