Last Minute für Hamburg

»Welcome to Hell«, in der G20-Stadt. Dort gibt es noch freie Unterkünfte. Nicht nur im Knast, weiß René Heilig

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

»René, für Hamburg gibt es Last-Minute-Angebote«, schrieb mir ein Roboter ins E-Mail-Fach. Oh Gott! »Welcome to Hell.« Diese Autonomen! Schlägt nicht nur Hamburgs letzte Stunde, rechnen wir schon nach Minuten? Schließlich soll an diesem Donnerstag die Demo sein, vor der alle – ausgenommen Teilnehmer und Sympathisanten – so warnen. 100 000 werden erwartet. Und tatsächlich war auf der Buchungsseite, auf die mich die Mail leitete, zu lesen: »Hamburg ist an den von Ihnen gewählten Daten bei Reisenden sehr beliebt.«

Doch nein, das mit Hamburgs letzten Minute habe ich missverstanden. Das bleibt das wahre Venedig des Nordens. Trotz Protesten. Es können weiter Gäste kommen. Zunächst die Staatschefs aus 20 Industrie- und Schwellenländern, samt EU-Beamten. Allerdings, so war als Tipp auf der Buchungsseite zu lesen: »Die Preise können an diesen Daten höher als gewöhnlich sein.«

Marktwirtschaft, wie unsozial, gar nicht wunderbar. Ein Wunder aber ist, dass man wirklich noch ein Zimmer in der Hafen-Hanse-Stadt bekommen können soll. Vielleicht liegt das ja daran, dass die Liste der Teilnehmer am G20-Gipfel ein wenig kleiner geworden ist, nachdem der saudische König Salman bin Abdelasis al Saud kurzfristig bedauern musste. Er hat derzeit wohl zu sehr damit zu tun, Katar in die Knie zu zwingen. Oder hat man ihm etwa gesagt, dass in Deutschland all jene, die Menschen und Bürgerrechte verletzen, öffentlich ausgepeitscht werden? Das wäre aber wahrlich eine zu dreiste Lüge. Typen wie al Saud und andere Volksquäler werden hierzulande in allen Ehren empfangen und hofiert. Denn sie sollen ja weiter deutsche Waffen kaufen: Panzer, U-Boote, Granaten und noch einiges mehr, das ihnen den Tag verkürzt und deutsche Konzerne fett macht.

Dennoch wird kein Mangel sein an Blaugeblüt aus Saudi-Arabien-Land. Hamburgs Nobelgeschäfte haben ausgesorgt, denn rund tausend Familienmitglieder sind schon eingeflogen oder werden noch kommen. Das Postkarten-Hotel »Vier Jahreszeiten« stellt all seine 160 Zimmer und Suiten in den Dienst der deutsch-saudischen Freundschaft. Wo die 30 Lämmer nächtigen, die man angeblich als Verpflegung mitgebracht hat, interessiert indessen nicht einmal engagierteste Tierschützer.

Zunächst hieß es auch, dass Brasiliens Präsident Michel Temer kein Zimmer brauche, denn er sei der heimischen Zelle sehr nah. Doch offenbar können die staatsanwaltschaftlichen Ermittler ihre nachhaltigen Fragen zu den Einkünften jenseits seines Präsidentengehalts auch nach dem Gipfel stellen.

Obdach brauchen auch die Tausenden Trossmitglieder der jeweiligen Delegationen. Und die meisten der 4000 Medienleute habe ihren normalen Wohnsitz ebenfalls fernab von Hamburg. Auch die meisten der rund 15 000 zugereisten Polizisten hat man in Hotels untergebracht. In Containern langweilen die sich nämlich ganz doll – wie man seit der Orgie dreier betrunkener Berliner Hundertschaften weiß.

Am heutigen Donnerstag werden wohl nicht viele der uniformierten und zivilen Beamten zu Schlaf oder Bier kommen. Denn heute geht es ab an der Elbe. Da »brennt Hamburg« und die »Mönckebergstraße wird entglast«. Das wusste Joachim Lenders, ein CDU-Mann im Stadtparlament, bereits seit Monaten.

Was nicht verwundert, schließlich ist er Hamburger Landeschef der rechten Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Auch die mehr sozialdemokratisch angehauchte Konkurrenztruppe GdP betont, man stehe wie ein Mann hinter der Null-Toleranz-Strategie des Senates, mit der man die seit Monaten herbeigeschriebenen 8000 Gewaltchaoten aus ganz Europa in die Knie zwingen will. Um das Demonstrationsrecht der friedlichen G20-Kritiker zu sichern. Vorausgesetzt, die distanzieren sich ganz fix von Unruhestiftern. Sonst... Das »Gnade ihnen Gott« verschluckt man besser. Sonst gibt es auch nur wieder Streit darum, welcher Gott wen hauen darf und wie das ist mit Atheisten.

Wichtig allein ist, dass Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) allmächtig ist. Und dass der Justizsenator weiter die Klappe hält. Till Steffens heißt der und ist ein Grüner. Promoviert hat er zum europäischen Naturschutzrecht. Das ist keinesfalls zu verwechseln mit dem, was die alten Griechen unter Naturrecht verstanden. Denn da ging es im weitesten Sinne um unveräußerliche Bürger- und Menschenrechte. Also nicht um G20 und Hamburg.

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