Lächeln als Spielgewinn

Ein Lette bringt Generationen und Kulturen zusammen

  • Lesedauer: 5 Min.

Ihr Weg zum Spieleverleger nimmt sich wie ein kleines Wunder aus. Es heißt, Sie hätten zuvor Haarpflegeprodukte verkauft?

Das stimmt. Schon meine Mutter war bei der Firma beschäftigt, bei der ich eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann machte. Eine Zeit lang habe ich auch in der Branche gearbeitet.

Doch dann kamen »Die Siedler von Catan«, das Spiel, das für viele Menschen ein Türöffner zu modernen Brettspielen war. Auch für Sie.

Ein Freund hat das 2003 aus dem Ausland mitgebracht. Wir haben es gespielt und gespielt und gespielt, mehr als 24 Stunden am Stück. Die Erfahrung war absolut überwältigend. Es war kaum zu fassen, dass ein Spiel einen so sehr in den Bann ziehen kann. »Die Siedler von Catan« haben mir die Augen geöffnet. Vorher kannte ich Klassiker wie Schach und Backgammon. Auf moderne Brettspiele hatte ich keinen Zugriff, die gab es in Lettland gar nicht.

Warum haben Sie denn aus dieser Erfahrung und aus dieser Situation heraus nun gleich Ihren Verlag gegründet?

Ich hatte schon vorher das Gefühl, dass ich lieber selbstständig statt angestellt wäre. 2004 habe ich den Schritt gewagt und mit zwei Teilhabern Brain Games gegründet, um populäre moderne Spiele ins Baltikum zu bringen.

Also Startup von null auf hundert.

Ich habe gefühlt und gesehen: Das ist meine Chance! Ich hatte Spielemessen besucht und dort die Verlage abgeklappert, um Lizenzen ihrer Spiele zu bekommen. Zuerst für die »Siedler von Catan«, dann »Carcassonne«, »Saboteur«, »Halli Galli« und andere. Voraussetzung war, dass die Spiele sprachneutral sein mussten, denn auf dem Baltikum werden vier Sprachen gesprochen: Lettisch, Litauisch, Estnisch und Russisch. Für rein lettische Versionen ist der Markt zu klein.

Was war Ihre Motivation, schließlich selber Spiele zu entwickeln? War es nur der Gedanke, mit eigenen Produkten Lizenzgebühren zu sparen?

Das Ziel, eigene Spiele herauszubringen, bestand schon von Anfang an. Allerdings war die Spielkultur bei uns noch nicht reif dafür. Wir haben lange daran arbeiten müssen, dass sich eine Spieleszene im Baltikum entwickelt. Noch immer steckt in vielen Köpfen das Stereotyp, Spiele seien nur Kinderei. Aber das weicht langsam auf, vor allem bei jüngeren Menschen.

Wie geht denn das, eine Spieleszene aufzubauen?

Wir sind nicht nur ein Verlag, wir betreiben auch Läden in Riga und in Estland. Über diese Shops bekommen wir den direkten Kontakt zu den Kunden. Wir veranstalten regelmäßige Spieleabende. Ganz aktuell planen wir auch erstmals ein internationales Spielertreffen, die »Balti-Con«.

Da passt Ihre jetzige Auszeichnung für das »Kinderspiel des Jahres« doch gut rein.

Genau, das wird dem Ganzen noch mehr Schwung geben. Ohnehin hat uns »Icecool« schon viele Türen geöffnet. Auch in den USA hat das Spiel bereits mehrere Awards gewonnen. Wir haben dort jetzt sogar eine Tochterfirma gegründet. Das wird für uns die nächste große Herausforderung.

»Icecool« haben Sie gemeinsam mit Ihren Verlagsmitarbeitern entwickelt. Verglichen mit Deutschland ist das ein ungewöhnlicher Weg. Hier veröffentlichen die Verlage meist Einsendungen externer Autoren.

Die lokalen Autoren bei uns sind noch nicht so weit. Da kommt sehr wenig Originelles. Unser Team kennt sich auf dem Brettspielmarkt inzwischen professionell aus. Wir wissen, auf welchem Niveau eine Idee sein muss, um sich international durchsetzen zu können.

Ihr jetzt preisgekröntes Spiel war also kühle strategische Planung?

Schon, trotzdem war »Icecool« auch ein bisschen Zufall. Bei einem Meeting lagen verschiedene Materialien und Spielfiguren auf dem Tisch. Auch die Pinguine. Wir haben angefangen, damit herumzuspielen, verfielen schließlich aufs Schnippen. Später kam die Idee hinzu, mit den Figuren Fangen zu spielen. Und im nächsten Schritt entstanden dann die Wände und Räume. Ich habe mir schon immer gewünscht, dass die Verpackung nicht bloß Verpackung ist, sondern dass man noch etwas damit macht. So kam es zu der Box in der Box.

Haben Sie das mit vielen Kindern getestet?

Ehrlich gesagt, war unser Ziel nicht, es als reines Kinder-, sondern als Familienspiel zu entwickeln, bei dem Kinder eben gut mitspielen können. Erst in der Endphase haben wir es mit Kindern getestet, und diese Tests haben uns darin bestätigt, dass es besonders für Kinder prima geeignet ist.

Sie sind auch auf einem anderen Gebiet sehr aktiv: in der Flüchtlingshilfe. Wie kam es dazu?

Ja, meine Frau und ich haben im September 2015 eine entsprechende Bewegung initiiert. Es begann mit einer Facebook-Gruppe, dann wurde ein Verein daraus. Leider steht die Mehrheit der Letten Flüchtlingen ablehnend gegenüber. Sie haben Angst vor dem Unbekannten. Aber sobald man Menschen persönlich trifft, ändert sich diese Meinung.

Wenn man beispielsweise miteinander spielt?

Auch dabei. Bei unserem allerersten Treffen mit Flüchtlingen haben wir in einem Heim Brettspiele angeboten. Keiner wollte so richtig. Wir haben dann losgespielt, und nach und nach haben auch Flüchtlinge mitgemacht. Es war toll, das Lächeln in den Gesichtern zu sehen. Dieser Spieletag war unsere erste Kontaktaufnahme, und er hat eine erste Vertrauensbasis geschaffen.

Sie stiften Gemeinschaft, sie bringen Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammen. Können Brettspiele dazu eine besonders gangbare Brücke bilden?

Vielleicht kann man das so sagen. Sie sind eine tolle Unterhaltungsform, sie fordern heraus, sie regen zur Kommunikation an. Das Wichtigste am Brettspiel aber ist: Es findet direkt von Mensch zu Mensch statt. Wer Brettspiele spielt, verbringt seine Zeit sinnvoll, weil er sie gemeinsam mit anderen verbringt. Mit Freunden oder mit der Familie. Ich treffe mich so beispielsweise regelmäßig mit alten Schulfreunden. Zum Glück wird das immer mehr erkannt.

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