Malerei zwischen Pop-Art und Tradition

Eine Ausstellung in Prenzlauer Berg erinnert an den Luxemburger Maler Michel Majerus

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Alles, was er herstelle, geschehe aus Bewunderung jener Kunst, die ihn interessiere, liest man in den Notizheften von Michel Majerus. Und: Am liebsten sei ihm, wenn jemand ein Bild kauft, dass er es zu verstehen suche und auch wieder nicht verstehe. Oder: Ich will wissen, wo ich gerade stehe mit meiner Malerei.

Aussagen eines suchenden jungen Künstlers, dem lediglich ein Jahrzehnt des Schaffens vergönnt war. Nach seinem Studium der Bildenden Künste in Stuttgart zog der gebürtige Luxemburger nach Berlin. Auf einem Flug nach Hause stürzte die Maschine 2002 ab. Es blieb ein abrupt beendetes Œuvre. Sein letztes Atelier in einer Remise in Prenzlauer Berg, als Eigentum erworben, ist nun Ort von Nachlass, Galerie und Forschungsstätte. Denn Michel Majerus, der schmale Nachdenkliche mit dem gealterten Knabengesicht, ist auch 15 Jahre nach seinem tragischen Tod einer, der zur Auseinandersetzung anregt.

Auseinandergesetzt hat er selbst sich intensiv mit der Malerei der Vergangenheit wie mit den Modernen seines Jahrhunderts. Gegenstandslose Kunst, sagte er, könne er nicht machen, dafür lebt, wurzelt er zu sehr in der Gegenwart. So wählte er als sein Ausdrucksmittel den unbefangenen Zeitkommentar, indem er Zitate der Klassik mit Alltagskultur mischte: Poppigem aus der Werbung, aus Magazinen und den Medien. Unter seiner Hand wurde daraus etwas ganz Eigenes, grell, explosiv, breit gefächert in den Themen. Seine visuellen Eindrücke verarbeitete er kreativ und spielerisch, eignete sich existierendes Material an: Kunst muss frisch sein. Auch Computerspiele interessierten ihn. Im Laufe weniger Jahre schuf er riesige Bilder, raumgreifende Installationen, füllte als rastloser Geist seine Notizhefte mit Fragen und Zukunftsplänen. Und erregte Aufsehen.

Schon Mitte der 1990er konnte er ausstellen: erst in Berlin und Basel. London, Köln, New York, Liverpool, Graz, Amsterdam und Paris, Bordeaux und Los Angeles folgten. In jene Metropole der Westküste führte ihn 2001 ein einjähriger Studienaufenthalt. Da war Majerus längst einer der Etablierten seiner Generation, hatte 1999 bei der Biennale Venedig für den italienischen Pavillon ein Wandgemälde entworfen. Großformate wurden sein Markenzeichen. Das größte misst 455 Quadratmeter, entstand für den Kölnischen Kunstverein und liegt in einer riesigen Schale für Skater. »if we are dead, so it is« heißt es und wird von Jugendlichen rege für ihren Sport genutzt. Kunst als Teil des Tageslebens. Aus einem anderen Bild sieht man die Sohle eines Sneakers, die scheinbar aus der Fläche radikal dem Betrachter entgegentritt. Die Kunst des Michel Majerus, handwerklich gediegen, braucht Raum, erobert sich ihn mit Installationen und wirkt in ihn hinein.

Auch die meisten der zehn ausgestellten Exponate in der Michel Majerus Estate sind wandfüllend. Immerhin 270 mal 450 Zentimeter misst, was einem naturfarben matt ornamentalen Grund in dicken roten Strichen aufgelegt ist: ein flitzendes Monster, eine Art Teddy mit Reißzähnen, eine nach hinten ausgreifende Hand. Ganz klein im Zentrum steht: »Die drängenden Fragen der bild. Kunst inhaltl. Art«.

Fährten, denen man folgen kann, aber nicht muss, und die ambivalent gangbar sind, legt Majerus ebenfalls in dem größten Acryl-Gemälde. Auf 295 mal 560 Zentimetern zeigt es »10 bears masturbating in 10 boxes«, wobei die Boxen, ob Kellog’s, Uncle Ben’s, Chips oder Mr. Proper, ebenso nur umrissen sind wie die Bären, und die sind in ihrem Tun schwarz überstrichen. Häufig sind es Zitate der Werbewelt, die Majerus einbezieht. So platziert er auf himmelblauem Grund unter graffitiartigen Fettbuchstaben Stieleissorten. Eine lächelnde Sonne ergießt ihre breiten Strahlen über Eis schleckende Teletubbies, als »Dead Suckers« tituliert. Auf cremefarbenem Fond hinwiederum jagen Figuren eines Computerspiels einander fröhlich, der Begleittext jedoch stellt den Sextrieb als primitiv heraus.

Den abgeschriebenen Text eines Flugblatts wider die bestehenden Parteien rändert Majerus in Farbschrift mit »celebration generation« und legt so deren Desinteresse offen. Ein Appell, sich die eigene Aussage zu erobern, sind »Poetic Justice« mit der Anleihe bei Jean Boucher oder der verkabelte, als grünes Männchen auf der Fläche frei schwebende »Brainiac«. Stammen die Exponate bei Majerus Estate aus den Jahren 1991 bis 1994, so zeigt die Galerie neugerriemschneider in Mitte korrespondierend hierzu »aluminium paintings« von 1997 bis 2002.

Michel Majerus Estate, Knaackstr. 12, Prenzlauer Berg. Bis 3. März 2018, jeden Sa., 11-18 Uhr; michelmajerus.com

Galerie neugerriemschneider, Linienstraße 155, Mitte. Bis 26. August; neugerriemschneider.com

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