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Gestrandet im Niemandsland

Flüchtlinge aus dem Norden werden immer wieder zum Streitpunkt in den innerkoreanischen Beziehungen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit zwei Monaten ist der südkoreanische Präsident Moon Jae-in im Amt, nachdem er die vorgezogenen Neuwahlen überzeugend gewonnen hat. Doch dem erklärten Ziel nach besseren Beziehungen zum nördlichen Nachbarn ist er kaum ein Stück näher gekommen. Zwar überschütten ihn die nordkoreanischen Medien nicht mit Beleidigungen wie seine Vorgängerin Park Geun Hye, doch das Eis ist keineswegs gebrochen.

Erst in der vergangenen Woche hat das nordkoreanische Notmaßnahmekomitee für die Rettung entführter Bürger als Vorbedingung für neue Treffen von getrennten Familien die Rückführung von 13 Nordkoreanern gefordert, die jetzt im Süden leben. Dabei geht es um zwölf Mitarbeiterinnen eines nordkoreanischen Restaurants im chinesischen Ningbo, die im letzten Jahr nach Südkorea kamen. Und um eine Frau, Kim Ryon Hui, die 2011 über China in den Süden floh, nach eigenen Angaben wieder zurück in den Norden will. »Der ungerechte Zwangsaufenthalt unserer Bürgerinnen ist eine inhumane Untat, die den bösartigen antinationalen und unmenschlichen Verbrechen der Verräterclique um Park Geun Hye folgt, und ein Verbrechen gegen Menschenrechte, das auch dem Maßstab und den Prinzipien für Menschenrechte widerspricht«, erklärte das nordkoreanische »Notmaßnahmekomitee«.

Beide Koreas befinden sich in der Alleinvertretungsfalle, beide beanspruchen, für alle Koreaner in Nord und Süd zu sprechen. Nordkorea zählt auch die in Japan lebenden Koreaner zu seinem Reich. Somit verbietet sich eine Auslieferung an den jeweils offiziell nicht existierenden anderen Staat. Beide Staaten befinden sich noch immer im Kriegszustand, der durch den Waffenstillstand von 1953 nur ausgesetzt ist.

Kim Ryon Hui kam nach ihren Worten 2011 nach China zu einem Familienangehörigen und wollte sich dort medizinisch behandeln lassen. Nachdem die Kosten ihre Möglichkeiten überschritten hatten, entschloss sie sich, mit ihrem Verwandten nach Südkorea zu fliehen, um dort Geld für die Behandlung zu verdienen.

Die zwölf Frauen waren mit ihrem Restaurantmanager am 7. April 2016 in Südkorea eingetroffen. Sie haben bisher keine Äußerungen von sich gegeben, wieder in das Reich von Kim Jong Un zurückkehren zu wollen. Nordkorea betreibt im Ausland, vor allem in China, etwa 130 staatliche Restaurants als Devisenquelle. Es ist anzunehmen, dass der südkoreanische Geheimdienst und in Südkorea ansässige Organisationen den im Ausland arbeitenden Nordkoreanern »behilflich« sind, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Wer sich zur Flucht entschließt, bricht alle Brücken hinter sich ab, nimmt Repressalien für Angehörige im Norden in Kauf.

Im Süden werden alle Flüchtlinge nach ihrer Ankunft einer scharfen Kontrolle unterzogen, denn es herrscht panische Angst, sich einen nordkoreanischen Agenten in den Pelz zu setzen. Hat ein Flüchtling Geheimdienstbefragungen und mehrmonatige Quarantäne überstanden, bekommt er automatisch einen südkoreanischen Pass und wird mit einem durchaus attraktiven Übergangsgeld ausgestattet.

Nordflüchtlinge mit für Südkorea wichtigen Informationen werden zusätzlich belohnt. Sind sie dann in den südkoreanischen Alltag entlassen, kommen viele nicht klar mit ihrem neuen Leben in einer anderen Welt. So groß sind die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Nord und Süd, dass nicht wenige den Wunsch äußern, wieder zurück in ihre vertraute Welt zu kehren. Allein die Angst vor harten Strafen hält sie ab, eine Rückkehr ernsthaft zu betreiben. Und so leben sie gestrandet in einer fremden Gesellschaft, oft diskriminiert und in latenter Erwerbslosigkeit.

Zwischen 1000 und 2000 Überläufer werden jährlich registriert, die vor allem den Weg über China und andere Drittländer in Südostasien wählen. Die 250 Kilometer lange und vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone zwischen Nord und Süd zu passieren, ist nahezu unmöglich. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind Frauen.

Pjöngjang reagiert ausgesprochen allergisch auf das Flüchtlingsthema. Nach eigenem Propagandaverständnis ist Nordkorea das schönste und lebenswerteste Land der Welt mit einem gesegneten Führer an der Spitze. Kein Bürger würde freiwillig auf die Idee kommen, dieses Paradies zu verlassen. Also müssen finstere Mächte aus dem Süden dahinterstehen. In der offiziellen nordkoreanischen Propaganda existiert die Problematik nicht, da ist nur von Entführungen die Rede, denen nordkoreanische Staatsbürger zum Opfer gefallen sind. So auch im Falle der 13 nordkoreanischen Frauen, die irgendwo im Süden untergetaucht sind und nach dem Willen des Nordens sofort ausgeliefert werden müssen.

In einer Frage funktioniert der Personenaustausch zwischen Nord und Süd geräuschlos. Immer wieder mal werden nordkoreanische Fischer in ihren altersschwachen Booten im Japanischen Meer in südkoreanische Hoheitsgewässer abgetrieben. Werden sie vom südkoreanischen Küstenschutz aufgegriffen, werden sie relativ problemlos wieder zurück in ihre Heimat geschickt.

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