Offline on the road
Tom Mustroph erfreut die geringe Dichte an Smartphones bei der Tour
Die Social Media-Verantwortlichen der Tour de France werden es mit Grausen sehen, für den Rest des Trosses ist es eine angenehme Überraschung: Von den Zuschauern, die sich am Straßenrand versammeln, guckt nur ungefähr jeder Zehnte auf sein Smartphone und begibt sich damit in fernmündliche oder ferntextliche Kommunikation.
Das Gros der Menschen sitzt, liegt, lümmelt oder steht da - und wendet sich einander zu. Es gibt ja auch genug zu tun: Ganze Tafelarrangements müssen aufgebaut werden. Kühltaschen werden herausgeholt, ihr Inhalt auf teilweise festlich geschmückte, teils spartanisch-rustikal gehaltene Tische entleert.
Ist das getan, müssen die vielen mitgebrachten Köstlichkeiten ja auch verzehrt, die Wein- und Bierflaschen geleert werden. Man kann nicht einmal sagen, dass die Zuschauer so richtig warten. Sie sind ja ganz gut miteinander beschäftigt, mit Ein- und Auspacken, mit Essen und Verdauen, ja, sogar mit Unterhalten.
Manchmal fliegt das eine oder andere Wort bis zur benachbarten Sitz- oder Lümmelgruppe herüber. Belgier reden mit Australiern, tauschen innovative Lösungen für Logistikprobleme bei An- und Abreise zur Tour aus. Deutsche und Briten reden über Urlaubsorte, ja, auch über den Brexit. Russen und Amerikaner gehen in einen Wettbewerb, wer den besseren oder schlimmeren Präsidenten hat. Tschechen und Slowaken, Slowenen, Portugiesen, Spanier und Italiener sieht man ebenfalls. Natürlich auch Franzosen. Die Welt ist da, ist handgreiflich versammelt. Wer muss da schon per Smartphone in andere Kommunikationswelten abdriften?
Und wenn für einen Moment dann doch Langeweile aufzukommen droht, die Hand zum Handy zuckt, dann kommt gewiss ein Auto der Werbekarawane, des neutralen Trosses oder gar ein Teamfahrzeug vorbei, dem man zuwinken kann, von dem man Geschenke einfordert, das überhaupt auch wieder als neuerlicher Gesprächsanlass taugt.
So gesehen ist die Tour de France ein doppelter Anachronismus: Mit langsamen Gefährten, angetrieben von einem alten Kraftübertragungsprinzip, werden weite Strecken oft nicht einmal auf kürzestem Wege zurückgelegt. Und obwohl ein riesiger Medienhype um das ganze Event gemacht wird, sind allenfalls noch die Radios eingeschaltet, um Informationen zu erhalten.
Ansonsten sind die Menschen mit sich selbst beschäftigt, mit uralten »Tools«: Zunge und Stimmbänder, auch mal Hände und Füße. So gesehen verdient sich die Tour France fast schon eine Berücksichtigung auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes.
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