Hallo, Hannover!

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Reggae-Ragga-Dancehall-Dauertanz heute Nacht im »Yaam« fängt zu einer Stunde an, zu der ich eigentlich gerne ins Bett gehe. Und sie endet, wenn die Kaufhalle aufmacht. Oh je! Denn am Mittag heißt es für mich schon wieder: höchste Eisenbahn! Ab nach Hannover - im Auftrag der Kultur!

Dorthin verschlug es mich einige Male. 1998 war ich mit dem Stadionhistoriker Christian Wolter im Chaos-Tage-Viertel beim Social-Beat-Stelldichein. Weil wir Frischlinge nicht als Autoren am Start sein sollten, hatten wir genug Zeit, die lieben Kollegen bei den Tauschgeschäften zu bescheißen: unsere schwarz-weißen Faltblättchen ohne Klammern gegen ihre schönen Tonträger. »Aufbau Ost!«, haben wir gesagt. »Soli-Zuschlag!« Die meisten Kleinkünstler waren sehr höflich, die konnten sich nicht richtig wehren.

Vier Jahre später war ich in Hannover solo unterwegs, mit meinem Buchdebüt in der Vereinsgaststätte vom SV Arminia, direkt unter der Stadiontribüne. Da draußen in Bischofshol passt der Himmel farblich meistens zur naheliegenden Schnellstraße. In den Siebzigern spielte Arminia vier Serien in der 2. Bundesliga, nun rangiert man in der fünftklassigen Oberliga Niedersachsen. Die Menschen dort sind gastfreundlich, kultiviert und lustig, zumindest die blauen Arminen mit den grünen Fahnen. Ein wenig gestänkert haben während der Lesung nur einige 96er Fans. Wieso ich ausgerechnet zum BFC Dynamo ginge? Tja, fragte ich zurück, warum bin ich als Säugling nicht aus der Zone geflüchtet? Fragen über Fragen. Zwei, drei Arminen sangen deeskalierend: »Der Verein, der Verein, der hat immer recht!«

Was für eine Literaturveranstaltung war das? Was für eine wird das morgen? Social Beat ist tot, Arminia lebt; deshalb geht es wieder in die Stadiongaststätte. Um meine Textauswahl mache ich mir keine Sorgen, eher um meine Fitness. Ich werde wohl dieselben Anekdötchen wie vor 15 Jahren bringen und erzählen, dass ich mal bei BVB gespielt habe. Das finden sie wunderbar, zumal ihre Haupttribüne ursprünglich in Dortmund stand. Nach einer Kunstpause verrate ich: BVB, Betriebssportgemeinschaft Berliner Verkehrsbetriebe Berlin. Das wird der richtige Einstieg für eine skandalöse Fußballgeschichte sein, die ich nicht weiter kommentiere, denn für Differenzierungen laden diese Freaks sich keinen Berliner ein.

Es wird eine dufte Werbeverkaufsveranstaltung für das Büchlein »Gläsers Globus«. Anschließend versacken wir und lernen uns richtig kennen. Ich darf mich fühlen, als hätte man mich in die Neunziger zurückgeschossen, oder wie die Arminen sagen: 94, 95, 97. Mein Kumpel, der Lange, kommentiert derartige Erlebnisse in Opernhäusern, Theatern und Stadien übrigens immer mit dem Spruch: Es war eine wunderbare Veranstaltung, es gab Bier.

Hannover ist prima, aber weil die Stadt den Ruf hat, langweilig zu sein, wird sie nicht so überrannt. Am Sonntag rolle ich gemütlich nach Berlin zurück, müde genug, um die Smartphone-Heinis ignorieren zu können.

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