Gülen - Erdogans Staatsfeind Nummer 1

Seine Anhänger werden in der Türkei als Terroristen eingestuft und verfolgt

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der islamische Prediger Fethullah Gülen ist für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan so etwas wie die Inkarnation des Bösen. Obwohl der vermutlich inzwischen 79-Jährige - es gibt da unterschiedliche Angaben - seit 1999 in den USA im Exil lebt, werden er bzw. seine Bewegung von Erdogan schlimmster Staatsverbrechen beschuldigt: von der Unterwanderung des gesamten Staatsaufbaus, der Armee, der Polizei, der Justiz bis zu den Schulen und Universitäten. Und natürlich wird er vom Staatschef auch für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich gemacht.

Tatsächliche Beweise dafür wurden bislang nicht vorgelegt, geschweige denn in einem ordentlichen Gerichtsverfahren bewertet. Dennoch sind in den vergangenen zwölf Monaten Zehntausende unter dem Vorwurf inhaftiert worden, als Angehörige der Gülen-Bewegung die verfassungsmäßige Ordnung in der Türkei stürzen zu wollen. Eine sechsstellige Zahl von Personen wurde deshalb aus dem Öffentlichen Dienst entlassen, einzig wegen dieser Anschuldigung. Zwar sollte eine Kommission Einzelfallprüfungen vornehmen. Stattgefunden hat diese Evaluierung aber nur in wenigen Fällen.

Dass Gülen eine Art Sektenführer zumindest war, der in der Türkei großen Einfluss hatte, daran besteht indes kein Zweifel. Und die islamische Reformbewegung Nurculuk (Nurcu sind »Anhänger des Lichts«) hat durchaus auch Vorstellungen vom öffentlichen Leben, die den Politikbereich berühren. Sie ist auch keine Randgruppe, eher ein weltumspannendes wirtschaftliches Imperium mit Niederlassungen überall, wo es eine nennenswerte sunnitisch-islamische Gemeinschaft gibt. Das Militär-Regime, das 1980 die Macht in der Türkei usurpierte und sich auch als Gralshüter des Laizismus, also in diesem Fall der Trennung von Islam und Staat, verstand, erkannte dies messerscharf, setzte Gülens Expansion in öffentlichen Einrichtungen ein deutliches Stoppzeichen. Auch entfernten die Generale um Kenan Evren alle als Gülen-Anhänger erkannten höheren Dienstgrade in der Armee.

Mit der Rückkehr ziviler Regierungen konnte Gülen auch wieder missionieren: über Kindergärten, Schulen, Universitäten, auch medizinische Einrichtungen und selbst die im Islam eigentlich verpönten Geldhäuser europäischer Geschäftsstruktur. Gülens Anhänger sind auf diese Weise in 140 Ländern präsent. Auch in Deutschland gibt es »Lichthäuser«, häufig eine Art Wohngemeinschaften für türkischstämmige Studenten, die sich bei näherem Hinsehen als straff und hierarchisch organisierte Klubs erweisen, in denen ein strenger Tagesablauf herrscht.

Vor allem in der Türkei war das Gülen-Netzwerk eine Macht geworden, nicht zuletzt in der türkischen Medienwelt. Es besaß mit »Zaman« die auflagenstärkste Tageszeitung, die Cihan-Nachrichtenagentur, die Zeitschrift Aksiyon, die Fernsehsender Samanyolu und Ebru TV sowie die Journalistenschule World Media Akademie. Sie wurden inzwischen allesamt zerschlagen bzw. verboten.

Erdogan selbst hat in den Jahren seiner Zeit als Ministerpräsident seit 2003 enge Beziehungen zu Gülen gepflegt und des Predigers Einfluss gern und reichlich für seine Zwecke genutzt - bis zum Jahre 2011.

In dieses Jahr fällt der öffentlich wahrnehmbare Bruch Erdogans mit seinem bisherigen Gönner Gülen. Was dafür der Auslöser war, wird unterschiedlich interpretiert. Am glaubhaftesten scheint die Erklärung, dass Erdogan erstens der Prediger zu mächtig geworden war und er zweitens glaubte, seine Pläne auch ohne ihn verwirklichen zu können.

Seitdem ist Gülen in der offiziellen Türkei eine Unperson, Staatsfeind Nr.1; alle seine Anhänger werden als Terroristen eingestuft und entsprechend verfolgt, und selbst wer nur in eine Gülen-Schule gegangen ist, verliert seine öffentliche Anstellung, sein Amt, seinen Vorsitz, mag er auch gewählt worden sein. Von den USA wird Gülens Auslieferung verlangt. Auch Deutschland wurden »Fahndungslisten« überstellt. Bis jetzt haben weder Berlin noch Washington dem Ansinnen stattgegeben.

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