Eine Europameisterschaft ohne jede Hektik

Die Niederlande richten die bislang größte Fußball-EM für Frauen aus - und haben sie mit Bedacht geplant

Kicky hat es wirklich nicht leicht. Zwei Begleiterinnen müssen ihr nach wenigen Schritten immer wieder die kurze orangefarbene Hose und das weiße Trikot zurecht ziehen. Und Kicky schwitzt, wie sie mit einer Geste andeutet. Dabei ist es in Utrecht gerade gar nicht hochsommerlich, knapp 20 Grad Celsius. Das Schlimmste aber ist: So richtig interessiert sich niemand für die lustige Löwin. Kicky ist das Maskottchen der Europameisterschaft der Fußballerinnen. Am Sonntag wird hier im Stadion Galgenwaard das Eröffnungsspiel zwischen den Gastgeberinnen aus den Niederlanden und den Norwegerinnen angepfiffen.

Die Binnenstad, wie das altstädtische Zentrum Utrechts heißt, ist belebt. Auf den autofreien Wegen zwischen den kleinen Backsteinhäusern drängen sich Fußgänger und Radfahrer, nach freien Sitzplätzen in den Cafés, Bars und Restaurants entlang der Grachten muss man suchen.

Die Lust am alltäglichen Leben haben sich die Utrechter auch nicht von der Nachricht eines möglichen Terroranschlags nehmen lassen: Am Mittwoch wurde bekannt, dass der IS für den 19. Juli einen Anschlag geplant haben soll, rund um das Gruppenspiel zwischen England und Schottland im Stadion Galgenwaard. Am Donnerstag gab die niederländische Antiterrorbehörde leichte Entwarnung. »Es gibt derzeit keine Anzeichen einer Attacke«, meldete NCTV-Zentrale in Den Haag.

»Nein, besonders große Angst hab ich jetzt nicht«, erzählt Elin während sie einen Cappuccino macht. Sie ist Anfang 20 und zum Studieren nach Utrecht gezogen. Nebenbei arbeitet sie in einem Café in der Twijnstraat, unweit des Zentrums. In den Niederlanden gilt weiterhin die zweithöchste Terrorwarnstufe, also: eine erhebliche Bedrohungslage ohne konkreten Hinweis auf einen bevorstehenden Anschlag. Elin ist sportbegeistert. »Ich spiele Volleyball«, sagt sie. Und natürlich wisse sie, dass an diesem Wochenende die EM hier in Utrecht beginnt. Plötzlich wird sie etwas verlegen, zuckt mit den Schultern und entschuldigt sich fast dafür, dass ihr kein Name einer niederländischen Fußballerin einfällt.

Utrecht ist mit knapp 340 000 Einwohnern die viertgrößte Stadt der Niederlande. Das Stadion Galgenwaard ist mit 24 000 Plätzen das zweitgrößte dieses Turniers. Und überhaupt - diese EM ist eine große Sache: Erstmals treten 16 Nationen bei einer Endrunde an. Aber: Wirklich präsent ist die EM in der Stadt nicht.

Kicky wirkt, als habe sie sich zwischen all diesen Menschen verlaufen. Gut, ein kurzes Abklatschen ist noch drin. Aber ein Foto will niemand mit der freundlichen Wildkatze machen. Als sich endlich drei junge Mädchen bereit erklären, ist Kicky aus dem Häuschen. Die Begeisterung schwindet schnell, verzweifelt zeigt das Maskottchen auf eine der ganz wenigen EM-Fahnen, die im Zentrum Utrechts aufgestellt wurden. Kickys Begleiterinnen wollen den Mädchen erklären, um was es geht. Ein kurzes Kopfnicken, dann verabschieden sie sich. Auch die Informationsheftchen haben sie nicht mitnehmen wollen.

Vom Markt Vredenburg dröhnt Musik. Genau dorthin zieht es die drei Mädchen. Nicht ohne Grund, auch sie sind sportbegeistert. Gegenüber vom Tivoli, dem modernen Konzerthaus, das den Abschluss der Altstadt bildet, ist eine Stabhochsprunganlage aufgebaut. Nachwuchsathletinnen ermitteln unter großem Jubel die Beste an diesem Tag. Rundherum gibt es viele Mitmachangebote - nur Bälle und ein Tor lassen sich nicht finden.

Vrouwenvoetbal. Liest sich ungewohnt. Aber immerhin: Der Frauenfußball hat es in der Tageszeitung »De Telegraaf« am Donnerstag auf Seite acht geschafft. Dort wird Lieke Martens porträtiert, ein Star der niederländischen Nationalelf. Sie spielt beim FC Barcelona und kann es kaum erwarten, dass die EM endlich losgeht. Sehr viel mehr erfährt man nicht. Vielleicht in der siebenseitigen Sportbeilage? Nein, kein Wort!

Neben dem aktuellen Weltsport bei der Tour de France und in Wimbledon geht es hauptsächlich um die Fußballer des FC Utrecht. Zugegeben, sie haben eine gute Saison gespielt und sich als Vierter endlich mal wieder für die Europa League qualifiziert. Berichtet aber wird von den ersten belanglosen Trainingstagen auf Malta. Im »Algemeen Dagblad« ist es nicht anders: Zwölf Seiten Sport, auf Seite neun ein paar Zeilen zur EM.

Ernst meinen es die Niederländer dennoch. Mit vier Millionen Euro unterstützt der nationale Verband (KNVB) jährlich seine Fußballerinnen. Im Land spielen derzeit rund 155 000 Frauen in fast 4500 Vereinen aktiv Fußball. In drei Jahren werden es nach Schätzungen des KNVB 180 000 sein. Ein Entwicklungsland ist der EM-Gastgeber damit nicht mehr: Nur in England, Deutschland, Frankreich, Norwegen und Schweden gibt es ebenfalls mehr als 100 000 Spielerinnen.

In Zahlen lässt sich zumindest auch die Begeisterung für dieses Turnier ausdrücken. Alle drei Gruppenspiele der Niederländerinnen sind ausverkauft. Das Eröffnungsspiel am Sonntag gegen Norwegen wird mit 24 000 Zuschauern eine neue Rekordmarke für ein Frauenspiel in den Niederlanden aufstellen. Das sportliche Ergebnis wird nicht unwesentlich die Stimmung bei den nachfolgenden Partien am 20. Juli in Rotterdam gegen Dänemark und vier Tage später in Tilburg gegen Belgien beeinflussen. Hoffnung auf Platz eins oder zwei in der Gruppe A und somit auf das Erreichen des Viertelfinals machen sich die Gastgeberinnen aber allemal. Bei der EM 2009 in Finnland standen die Niederländerinnen im Halbfinale, vier Jahre später beim Turnier in Schweden mussten sie aber schon nach der Vorrunde wieder abreisen.

Dass mannschaftlicher Erfolg und einzelne Idole wichtig sind, weiß auch Bert van Oostveen. Er ist der Turnierdirektor. Und er ist froh, dass es endlich mit der EM geklappt hat. Schon für die Europameisterschaften 2009 und 2013 hatte sich der KNVB beworben. Am 4. Dezember 2014 war es dann so weit: Die Niederlande setzten sich gegen die Mitbewerber aus Schottland, Österreich, Frankreich, Israel, Polen sowie der Schweiz durch und bekamen den Zuschlag von der UEFA. »Solch ein großes Turnier im eigenen Land ist natürlich das beste Podium«, sagte van Oostveen rückblickend am Donnerstag. Denn noch wichtiger als Titel und Stars ist für die Entwicklung des Sports, die Atmosphäre großer Ereignisse hautnah erleben zu können.

Bert van Oostveen und seine Kollegen beim niederländischen Verband wollen die Fußballerinnen nachhaltig fördern - nicht überfordern oder eine Blase bauen, die nach dem Abpfiff des Endspiels am 6. August sofort wieder platzt. Und so haben sie auch mit Bedacht dieses Turnier geplant. In sieben Städten wird gespielt: Utrecht, Enschede, Breda, Tilburg, Deventer, Doetinchem und Rotterdam. Nein, Amsterdam ist nicht dabei. Und in Rotterdam wird im kleinen Sparta-Stadion mit nur 11 000 Plätzen statt in der großen Arena gespielt.

»Hello, welcome!« Die Volunteers am Stadion Galgenwaard sind richtig gut gelaunt. Auch wenn die meisten Besucher den Fanshop der Männer des FC Utrecht ansteuern: Hier ist die Vorfreude auf das Turnier endlich mal zu spüren. Vor dem Akkreditierungszentrum wird noch schnell der Teppich ausgeklopft. Und in den Scheiben hängen noch immer Angebote für Hauskäufe in Utrecht und Umgebung, normalerweise sitzt hier ein Immobilienmakler. Aber egal. Bis Sonntag wird das schon. »Wir sehen uns beim Finale«, sagt eine junge Frau im knallroten Volunteershirt. Warum? »Na die Deutschen werden es schon schaffen« meint sie und lacht: »Die sind doch die besten!«

»Mal sehen«, antwortet der Reporter und weiß mit den Schwedinnen, Französinnen und Engländerinnen noch einige weitere Titelkandidaten zu benennen. Dass die Niederländerinnen in der Aufzählung fehlen, stört hier niemanden.

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