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Martin Schulz mit Eiertanz zur Friedenspolitik

SPD-Kanzlerkandidat verspricht in seinem Zukunftsplan allen Menschen, so leben zu können, wie sie wollen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein bisschen Prominenz aus Politik und Gesellschaft, ein großes Medienaufgebot und ein paar Dutzend handverlesene SPD-Mitglieder. Das diente am Sonntag im Willy-Brandt-Haus in Berlin als Staffage für die groß angekündigte Grundsatzrede des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, die vor allem die Schwerpunkte seines künftigen Handels als Bundeskanzler skizzieren sollte, der er nach der Bundestagswahl im September werden will. Von Aufbruchstimmung oder gar Euphorie wie bei früheren Auftritten war allerdings nichts zu spüren. Statt »Martin, Martin«-Rufen gab es eher verhaltenen Beifall. Der Schock über die stetig gesunkenen Umfrage- und Popularitätswerte für die Partei und ihren Kandidaten sitzt offensichtlich tief.

Auch das Zehn-Punkte-Aktionsprogramm mit dem Titel »Das moderne Deutschland. Zukunft Gerechtigkeit Europa« und die knapp einstündige Rede von Schulz trugen nur begrenzt zur Stimmungsaufhellung bei. Auffällig ist, dass das von Schulz zu Beginn seiner Kampagne in den Mittelpunkt gestellte Thema soziale Gerechtigkeit kaum noch eine Rolle spielt. Zur drohenden Altersarmut von Millionen Menschen findet sich in dem Papier nur ein dürrer Nebensatz über eine nicht näher beschriebene »Solidarrente«, zur Wohnungsnot lediglich die Ankündigung, junge Familien beim Erwerb oder Bau einer Eigentumsimmobilie zu unterstützen. Die Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse will man »deutlich verringern«, diesem Ziel soll ein »Pakt für anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen« dienen. Er, so Schulz, wolle dafür sorgen, »dass in Deutschland alle Menschen so leben können, wie sie wollen«.

Doch die Schwerpunkte des maßgeblich von dem Politökonomen Henrik Enderlein (Hertie School of Governance) und dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Matthias Machnig verfassten Aktionsprogramms sind andere. Eine »Innovationsallianz« soll vor allem die Digitalisierung der Arbeit und anderer Lebensbereiche vorantreiben. So werde er als Kanzler persönlich dafür sorgen, »dass binnen kürzester Zeit ein Deutschlandportal für Bürger und Unternehmen geschaffen wird, in dem alle Formalitäten leicht und unbürokratisch abgewickelt werden können«. Zudem soll ein »Digitalisierungsfonds« vor allem den Mittelstand und das Handwerk an das »neue Zeitalter« heranführen. Dazu gehöre auch eine »aktive Industriepolitik«. Als Schwerpunkt benennt das Programm unter anderem den Aufbau einer Batteriezellenproduktion für Elektromobilität. Für die SPD seien überdies Industriepolitik und Klimaschutz kein Widerspruch, betonte Schulz, dessen Partei sich bislang vehement gegen einen terminierten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung und dem Verbrennungsmotor wendet.

Grundlage für das zukunftsfähige Deutschland soll ferner eine Bildungsoffensive sein, mit kostenfreier Bildung von der Kita bis zur Universität und mit der Ausstattung aller Bildungseirichtungen »auf dem modernsten Stand der Technik«. Dazu müsse auch endlich die »Kleinstaaterei« im deutschen Bildungswesen überwunden werden.

Wenig Neues war vom Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden, der über Jahre Präsident des EU-Parlaments war, zum Thema Zukunft der EU zu hören. Man wolle ein starkes Europa, das »mehr sein muss als nur ein Zusammenschluss von Staaten auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner«. Man wolle aber vor allem ein soziales und solidarisches Europa. Das bedeute auch, dass »diejenigen, die die Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, auch nicht mehr von der Solidarität von Ländern wie Deutschland als größtem Nettozahler der EU profitieren sollten«, so drohte Schulz mit Blick auf Länder wie Polen und Ungarn.

Einen der auffälligsten Eiertänze vollführt das Aktionsprogramm beim Thema Friedenspolitik. Zwar tritt die SPD »gegen neue Aufrüstungsspiralen und für Abrüstung« ein. Aber das Geschäft mit dem Tod soll möglichst weiter brummen. Verboten werden soll lediglich der Export von Kleinwaffen an Länder außerhalb der EU, der NATO und gleichgestellten Staaten. Schweres Kriegsgerät wie zum Beispiel Panzer könnte also weiterhin auch unter SPD-Führung an Länder in Krisengebieten wie Saudi Arabien verkauft werden.

Trotz dieser insgesamt wenig originellen und in vielen Punkten kaum von CDU/CSU-Postulaten unterscheidbaren Leitlinien beschwört die SPD einen »Richtungswahlkampf«. Schulz wähnt dabei den Atem der Geschichte auf seiner Seite. Denn immer wenn das Land zu erstarren drohte, hätten Sozialdemokraten die Probleme mit »mutigen Reformen« angepackt, so Schulz, der sich dabei auch ausdrücklich auf Gerhard Schröder bezog. Doch auch das quittierten die anwesenden Genossen widerspruchslos mit freundlichem Beifall.

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