Abschied von der originellen Spessartrampe

In Bayern beseitigte die Deutsche Bahn ein Nadelöhr

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass die Deutsche Bahn nicht nur in umstrittene milliardenschwere Großprojekte wie das Immobilien- und Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 oder die von Kritikern als »teuerste U-Bahn« bezeichnete tunnelreiche Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Nürnberg und Erfurt investiert, zeigt die jüngste Inbetriebnahme einer neuen, rund fünf Kilometer langen Trasse auf der viel befahrenen Strecke von Hanau nach Würzburg.

Der rund 420 Millionen Euro teure Streckenneubau mit vier neuen Tunnels ersetzt die alte, bereits 1854 errichtete »Spessartrampe« zwischen den unterfränkischen Kommunen Heigenbrücken (Landkreis Main-Spessart) und Laufach (Landkreis Aschaffenburg). Die neue Strecke ist rund 500 Meter kürzer, liegt tiefer, hat eine deutlich geringere Steigung und kann von ICE-Zügen mit einer Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern befahren werden. Somit ist aus der Sicht der Bahnplaner ein Nadelöhr beseitigt und die Fahrzeit für Personen- und Güterzüge verringert sich wieder um mehrere Minuten. Dauerte im vorletzten Jahrhundert eine Bahnfahrt von Würzburg nach Frankfurt bis zu dreieinviertel Stunden, so schaffen moderne ICE-Züge die Strecke heute in wenig mehr als einer Stunde.

Der Spessart ist ein waldreiches Mittelgebirge im nordwestlichen Bayern und östlichen Rhein-Main-Gebiet, dessen Überwindung den Eisenbahnpionieren des 19. Jahrhunderts viel Kopfzerbrechen bereitete. Weil damals der Sprengstoff Dynamit noch nicht erfunden war, musste die Untertunnelung am Scheitelpunkt der neu konzipierten Bahnstrecke noch personalintensiv mit viel Knochenarbeit vorangetrieben werden.

Weil die Planer dazu angehalten waren, den notwendigen Tunneldurchbruch möglichst kurz zu konzipieren, wurde die Trasse vor allem westlich des neu errichteten Schwarzkopftunnels relativ steil angelegt. Alte Dampfloks konnten sie nur mit geringer Geschwindigkeit befahren. Als die Güterzüge im Laufe der Jahrzehnte immer länger und schwerer wurden, hielt die Bahn auf der westlichen Seite der Rampe sogenannte Schubloks bereit. Sie wurden bis zuletzt regelmäßig eingesetzt, um mit zusätzlicher Schubkraft von hinten die Überwindung der Steigung zu beschleunigen und vor allem einen Bruch von Kupplungen zwischen den Waggons zu verhindern. Nach der Elektrifizierung der Strecke 1957 übernahmen Elektroloks der Baureihe E 50 und E 94.2 den Schiebebetrieb.

»Wer bestimmt, dass diese tolle Strecke verschwinden muss und warum lassen sich Eisenbahnfreunde das widerspruchslos gefallen?«, fragt sich der hessische Eisenbahnliebhaber Thomas Schüller, der die Spessartrampe schon in seiner Jugend erkundete und die Verhältnisse vor Ort bestens kennt. Er hatte in den vergangenen Monaten bei Bahnmanagern und bayerischen Behörden vergeblich mit konkreten Anregungen für eine Erhaltung der harmonisch in die grüne Landschaft eingepassten Altstrecke als Museumsbahn geworben.

Sein Vorschlag, die Rampe wenigstens eingleisig als Feldbahn zu erhalten oder für einen Draisinenbetrieb zu nutzen, wurde ebenso verworfen wie die Idee, den Schwarzkopftunnel in einer »kleinen Lösung« wenigstens für eine sichere Passage von Fußgängern und Radfahrern herzurichten. Nun soll der Tunnel, an dessen östlichem Ausgang der jetzt aufgegebene traditionsreiche Bahnhof Heigenbrücken liegt, schrittweise mit Bauschutt und Aushub verfüllt werden.

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