Wunder oder Lug und Trug?

Vatikan will nun entscheiden, wie die 47 000 Marienerscheinungen im bosnischen Medjugorje zu bewerten sind

  • Thomas Brey, Medjugorje
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer studieren will, wie aus einem unbekannten öden Flecken ein weltweit bekannter Touristen-Hotspot werden kann, muss sich Medjugorje in Bosnien-Herzegowina ansehen. Bis Anfang der 80er Jahre gab es keine Pension, keine Kneipe, kein Trinkwasser. Heute können hier 30 000 Menschen nächtigen, ein Restaurant reiht sich an das nächste, Souvenirshops überall. Bis 2,5 Millionen Menschen kommen jährlich. Italiener, Deutsche, Österreicher, Polen, Tschechen. Aus rund 80 Ländern kommen Besucher - aus Südkorea, Mexiko, Argentinien und den USA. Sie alle kommen zu einem Wallfahrtsort, an dem seit Sommer 1981 täglich die Gottesmutter erscheinen soll. Von den sechs Sehern haben Marija (geb. 1964), Ivan (1965) und Vicka (1964) angeblich täglich Marienkontakte. Die Franziskaner, die hier von Anfang an die Zügel in der Hand haben, sehen Medjugorje in einer Reihe mit den Wallfahrtsorten Lourdes in Frankreich und Fatima in Portugal.

Der kometenhafte Aufstieg Medjugorjes verlief als »organisiertes Chaos«, so Vencel Culjak, der darüber eine Doktorarbeit geschrieben hat. Ohne Plan entstanden alle Bauten wild, erzählte er dem kroatischen Magazin »Globus«. Kroaten und Italiener sollen sich die Investitionen geteilt haben. Der Ort sei ein Dorado für Geldwäsche. Um welche Geldsummen es geht, zeigten Kollekten bei Messfeiern mit Einnahmen von 10 000 Euro.

Bischof Ratko Peric in Mostar, zu dessen Diözese Medjugorje gehört, kritisiert die angeblichen Marienwunder. 47 000 sollen es bisher gewesen sein. »Solche Geschichten vom Berühren des angeblichen Körpers der Muttergottes, ihres Kleides, das Beschmutzen ihres Schleiers, lässt uns zu dem Gefühl und der Überzeugung kommen, dass es unwürdig, nicht authentisch, ja skandalös ist. Wir können nur sagen: Das ist nicht die katholische Gottesmutter!«

Schon 1991 hat die jugoslawische Bischofskonferenz die Wunder in Zweifel gezogen, aber den Priestern erlaubt, die Pilgermassen zu betreuen. Eine hochrangige Kommission unter Leitung von Kardinal Camillo Ruini kam 2014 nach fünf Jahren offenbar zum Schluss, die ersten Erscheinungen Anfang der 80er Jahre seien möglicherweise glaubhaft, die späteren zumindest zweifelhaft, sickerte durch. Daher müsse man mit der Untersuchung der ersten Marienwunder fortfahren, sagte Papst Franziskus nach dem Besuch in Fatima im Mai. Über die späteren täglichen Erscheinungen witzelte das Kirchenoberhaupt sogar: »Ich bevorzuge die Gottesmutter nicht als Leiterin eines Telegrafenamtes, das jeden Tag eine Nachricht zu der und der Stunde versendet. Das ist nicht die Mutter Jesu und diese angeblichen Erscheinungen haben keinen großen Stellenwert.«

Aber die Kirche will die Millionen Gläubigen offensichtlich nicht vor den Kopf stoßen. Daher schickte der Vatikan im April den Warschauer Bischof Henryk Hoser für zwei Wochen nach Medjugorje, um Vorschläge für die Betreuung der Gläubigen zu machen. Nun wird die Lösung erwartet: Die ersten Erscheinungen von 1981 werden vom Vatikan als Wunder anerkannt; die Pilger von der Kirche organisierter als bisher seelsorgerisch betreut, der Wallfahrtsort wird dem Vatikan unterstellt, um Ordnung in die Geldgeschäfte zu bringen. dpa/nd

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