Kämpfen, wo der Sauerstoff dünner wird

Die Franzosen hoffen nach mehr als 30 Jahren wieder auf einen heimischen Toursieger. Ihr Held bedient sich jedoch einer unethischen Methode

  • Tom Mustroph, Serre Chevalier
  • Lesedauer: 4 Min.

»Bardet, Bardet« rufen die jungen Mädchen in La Mure beim Start der 17. Etappe und halten Klatschpappen hoch, auf denen der Name ihres Lieblings geschrieben steht. Romain Bardet ist der Mann, der die Grande Nation derzeit in Verzückung bringt. Denn er kann, nein, er soll die Frankreichrundfahrt gewinnen. Mehr als 30 Jahre ist es her, dass der letzte Franzose den Toursieg holte. Bernard Hinault heißt der, ist 63 Jahre alt und auf dem Tourpodium nur noch präsent, wenn er anderen dort gratuliert. Bardet aber kann ihm nachfolgen - als Sieger, nicht als Gratulant.

Dazu hat sich der 26-Jährige akkurat vorbereitet. Besser als im vergangenen Jahr ist er durch die komplizierte Anfangsphase der Tour gekommen. Er stürzte einmal, ja, aber verlor dabei kaum Zeit. Er hat Titelverteidiger Chris Froome nicht erst auf der vorletzten Bergetappe attackiert wie 2016, sondern bereits in der zweiten Woche, in den Pyrenäen. Und dort hat er gesehen, dass er an manchen Tagen stärker ist als der Brite.

Am Mittwoch versuchte er es in den Alpen erneut. Froome konnte er am Col du Galibier dieses Mal zwar nicht abhängen, doch im Gesamtklassement distanzierte er einen anderen Kontrahenten: Der Italiener Fabio Aru konnte beim Etappensieg des Slowenen Primoz Roglic nicht folgen und verlor viel Zeit. Und Bardet liegt nur 27 Sekunden hinter Froome.

»Der Etappensieg 2016 brachte ihm damals nicht nur den Podiumsplatz in Paris ein. Die Attacke hat ihm gezeigt, dass er seinen Instinkten folgen und dabei erfolgreich sein kann«, erzählt sein Teamchef Vincent Lavenu »nd«. Damals festigte Bardet seinen Ruf als mutiger Angreifer. »Ich mag ihn so, wie er ist. Was soll er auch anderes tun? Im Zeitfahren am Samstag ist Froome ohnehin besser als er. Bardet muss es also vorher versuchen. Und er ist eine großartige Belebung dieser Tour«, würdigt Hinault seinen Nachfolgekandidaten.

Eine Lehre aus der Vorsaison ist auch, dass das Team von Froome nur mit einer eigenen starken Mannschaft in Gefahr gebracht werden kann. Dre Rennstall AG2R stellte Bardet also diesmal eine Mannschaft aus Experten gegen Windkanten und mutigen Kletterern zusammen. Sie haben Froomes Team Sky tatsächlich mehrfach in die Bredouille gebracht. »Sie sind stark. Wir müssen auf sie achten«, sagt auch Servais Knaven, Skys sportlicher Leiter, beim Etappenstart.

Für die Alpen hatte Bardet noch einen Joker vorbereitet. Er trainierte in der spanischen Sierra Nevada, auf fast 3000 Metern Höhe. Das sollte ihm am Col du Galibier, 2642 Meter hoch, Vorteile gegenüber Froome bringen. Der hielt sein Höhentrainingslager am Tejde auf den Kanarischen Inseln, auf einer Höhe von etwa 2100 Metern ab. »Je höher du trainierst, desto mehr rote Blutkörperchen produziert dein Körper. Das ist wie früher mit EPO«, erklärte Mikel Cherel, Teamkollege von Bardet, in der Zeitung »Le Monde« recht offen.

Höhentraining führt laut Experten, wie dem vor einigen Jahren verstorbenen Aldo Sassi, der Cadel Evans auf den Toursieg vorbereitet hatte, zu einer tieferen Belastung der Lungen, was sich im Wettkampf ebenfalls als nützlich erweisen soll. Bardets Trainer Samuel Bellenoue habe dadurch eine jährliche Verbesserung der hypoxischen Belastung seines Schützlings um drei Prozent festgestellt, schrieb die Zeitung »L’Equipe«. Bardet habe zudem sein Gewicht um drei Kilogramm reduziert. Er muss nun also noch weniger Masse den Berg hochschleppen.

Eine letzte »Trainingsmethode« Bardets ist hingegen umstritten: Er hat in einer Höhenkammer den Aufenthalt im Hochgebirge simuliert - ein Vorstoß in eine Grauzone. Denn im Radsport gilt diese Methode seit 2006 als »unethisch«. In Italien ist sie für Leistungssportler sogar verboten. Konkurrent Fabio Aru müsste also mit Anklagen rechnen, sollte er dies tun. Für die Weltantidopingagentur zählt der Aufenthalt in einer Höhenkammer aber nicht zu den explizit verbotenen Methoden. Dennoch, der junge Franzose macht bei seinem Sturm auf den Tourthron etwas, von dem man glaubte, dass es zum alten Radsport gehörte, zu Jan Ullrich etwa und dessen Höhenkammer im eigenen Haus. Die Aussicht auf Erfolg lässt aber auch französische Radfahrer wieder auf vielen Wegen nach Verbesserung schauen.

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