Viel Feind, viel Ehr’

Erdogan wird außenpolitisch deutlich einsamer

  • Jan Keetmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist bisher unklar, wie der deutsche Menschenrechtstrainer Peter Steudtner in die Mühlen der türkischen Justiz geriet. Nicht alle Menschenrechtsaktivisten, die am 5. Juli bei einem Seminar auf der Insel Büyükada bei Istanbul festgenommen wurden, kamen später in Untersuchungshaft. Die türkische Justiz hätte Steudtner ziehen lassen oder unter der Bedingung, das Land nicht zu verlassen, auf freien Fuß setzen können. Der große Krach mit Berlin wäre vermieden worden.

Wollte Erdogan mehr Druck aufbauen, um doch noch einen Austausch von deutschen Häftlingen gegen Türken, die nach dem Putsch in Deutschland Asyl beantragt haben, hinzubekommen? War er einfach sauer, weil ihm die Bundesregierung seinen Auftritt in Hamburg untersagt hatte?

Was auch der spezielle Grund war - die Inhaftierung eines Deutschen, der angeblich an der Vorbereitung eines neuen Putsches in der Türkei beteiligt war, passt Erdogan politisch gut in den Kram. Der Putsch vom letzten Jahr wird in der Erinnerungskultur der Regierungspartei AKP als Kampf der Gläubigen gegen die Ungläubigen stilisiert. Dass ihn der ehemalige Prediger an der Blauen Moschee in Istanbul, Fethullah Gülen, inszeniert haben soll, fällt kaum jemandem als Widerspruch auf. Mehr oder weniger offen wird auch gesagt, dass westliche Staaten ebenfalls hinter dem Putsch standen. Da passt die Festnahme von Steudtner ins Bild.

Die für türkische Verhältnisse eher verhaltene Reaktion auf die harte Reaktion aus Berlin spricht dafür, dass man in Ankara wohl nicht mit dieser Stufe der Eskalation gerechnet hat. Dabei ist die von Außenminister Sigmar Gabriel angekündigte Neuorientierung der deutschen Türkeipolitik eigentlich nur die fällige Konsequenz aus der Neuorientierung der Türkei. Bildlich wird sie häufig als eine Umkehrung der Westorientierung Atatürks in eine Ostorientierung beschrieben. Das Problem ist, dass im Osten nichts ist, wo die Türkei andocken könnte. Mit Saudi-Arabien hat man sich spätestens in der Katar-Krise überworfen. Das Verhältnis zu Ägypten ist ohnehin schlecht. Die mühsam wiederhergestellten Beziehungen zu Israel passen nicht gut zu einer Politik, die auf Ressentiments von Muslimen gegen den Westen setzt, denn die haben mindestens die gleichen Ressentiments gegen Israel.

Bleiben Russland und Iran. Die Beziehungen zu beiden Ländern haben sich in letzter Zeit wesentlich verbessert. Im Gleichtakt haben sich die Beziehungen zu den USA verschlechtert. Streitpunkt ist vor allem die Unterstützung der USA für die syrischen Kurden. Wenn es um Katar und die Kurden geht, haben Iran und die Türkei ähnliche Standpunkte, und auch Russland hat sicher ein Interesse daran, eine Türkei zu unterstützen, die sich in der NATO isoliert. Schließlich könnten mehr Touristen aus Russland und Iran sogar helfen, teilweise die Lücke zu füllen, die deutsche Touristen in der Türkei hinterlassen.

Trotzdem ist die Türkei mit Iran und Russland in einer »unnatürlichen« Koalition. Gerade eine sich stärker islamisierende Türkei müsste eigentlich dem sunnitischen Islam die Stange halten und nicht an der Seite der schiitischen Macht Iran stehen. Dies umso mehr, als sunnitische und schiitische Islamisten derzeit in Syrien, Irak und Jemen gegeneinander kämpfen. Die wirtschaftlichen Perspektiven einer Allianz mit Iran und Russland sind begrenzt. Indirekt könnten bessere Beziehungen zu Iran zwar die Beziehungen zu Bagdad verbessern. Türkische Bauunternehmer sehen ein großes Geschäft mit dem Wiederaufbau von Mosul winken. Trotzdem bleibt die türkische Wirtschaft von Investitionen vor allem aus Europa abhängig. Russland und Iran können diese Lücke nicht füllen. Zugleich zahlt Erdogan in der sunnitischen Welt einen hohen Preis für ein Bündnis mit Iran. Es gibt viele Konflikte, an denen dieses Bündnis rasch wieder zerbrechen kann.

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