Recep und Nessie
Bernd Zeller trauert ein wenig den Zeiten nach, da das Ungeheuer von Loch Ness noch das Sommerloch füllte
Unser heutiger Bericht behandelt das Sommerloch, genauer gesagt dessen Ausbleiben in diesem Jahr. Es ist eine schöne Tradition, dass in der Zeit des Sommers, wenn Politiker im Urlaub sind und die Zeitungen dennoch etwas zum Vermelden brauchen, sich Hinterbänkler zu Wort melden, die für ein paar Schlagzeilen sorgen, aber doch nicht weiter die sommerlochige Ruhe stören.
Nun kann man sagen: Wozu braucht man Ruhe, wir haben doch Merkel. Man kann auch sagen, wir brauchen keine Hinterbänkler, wenn Martin Schulz Kanzlerkandidat ist. Doch all diese Institutionen stabilisieren die Gesellschaft. Martin Schulz verkörpert die Alternativlosigkeit der Kanzlerin, und die ist die Ruhe in Person.
Dies bezieht sich natürlich nur auf ihre öffentliche Erscheinung, auf das Bild, das man von ihr hat. Sie macht keinen Wahlkampf - das kommt so an, als hätte sie es nicht nötig, also wählt man sie wieder.
So jedenfalls versteht man es bei der SPD.
Merkel hat als Erfolg zu verbuchen, dass wirklich alles so eingetreten ist, wie man es erwartet hat. Sie hat Erdogan zu dem gemacht, was er jetzt ist, und so war es abzusehen. Das war ein cleverer wahltaktischer Zug von ihr, denn damit hat sie den hier lebenden und wählenden Türken gezeigt: Wer Merkel wählt, wählt Erdogan. Unser Außenminister muss nun mühselig Briefe an sie alle schreiben und ihnen mitteilen, dass sie zu uns gehören, also nicht Erdogan wählen müssen vermittels CDU, sondern auch zum Beispiel SPD. Wir können für unsere türkischen Mitbürger nur hoffen, dass Sigmar Gabriel nicht von Erdogan den Gülen-Anhängern zugerechnet wird. Ansonsten würde er alle, die den Brief gelesen haben, in arge Bedrängnis bringen.
Aus Gewohnheit nehmen wir solche Themen nicht ernst, dabei müssten wir feststellen: Im Gegensatz zum Ungeheuer von Loch Ness, das uns üblicherweise durch die Sommerlöcher begleitet hat, gibt es Erdogan wirklich. Zudem ist Erdogan demokratisch legitimiert, er wurde auch mit Merkels Unterstützung gewählt. Nessie nicht. Gegen Nessie wurde wiederum kein Auftrittsverbot in Deutschland erlassen, was für Erdogan Anlass ist, der Bundesrepublik ein Demokratiedefizit zu unterstellen. Es wäre in der Tat recht unterhaltsam, würde Sigmar Gabriel den hier lebenden Schotten schreiben, dass sie zu uns gehören, und zugleich öffentliche Auftritte von Nessie vor ihren Anhängern verbieten. Es gäbe dann wieder diplomatische Feinheiten, die es Nessie ermöglichten, in schottischen Konsulaten aufzutauchen, was so richtig auch erst nach einem Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich Sinn hätte. Denn während der laufenden Brexit-Verhandlungen wären weder Theresa May noch Jean-Claude Juncker daran interessiert, dass Nessie zum Gegenstand der Auseinandersetzungen gemacht würde, zumal nicht abzusehen wäre, was geschieht, wenn Nessie plötzlich eine große türkische Gefolgschaft hinter sich vereinen würde. Es ist immerhin wahrscheinlicher, dass Nessie Erdogan die Show stähle, als dass Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier oder Martin Schulz das vermöchten, um nur die Charismatischsten aufzuzählen.
Ein anderer klassischer Sommerloch-Stoff waren immer die Außerirdischen, die mit ihren fliegenden Untertassen gesichtet wurden. Seitdem wir bessere Fototechnik haben, gibt es keine Fotos mehr von solchen kuriosen Objekten. Dafür geistern fliegende Flaschen und fliegende Steine durch die Nachrichten, mit so was kann man auch nichts anfangen. Es ist allerdings möglich, dass es immer noch genauso viele Sichtungen von Außerirdischen gibt; sie werden nur nicht mehr als kleine grüne Männchen bezeichnet, sondern allgemein als Männer oder Personengruppen. Das ist nur fair. Nessie würde sich selbst auch nicht als Ungeheuer bezeichnen, vermuten wir mal. Aus dem gleichen Grund möchte man auch Erdogan nicht beleidigen und umschreibt ihn als Sultan.
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