Schweriner Angst vor der Konserve

Stadtvertretung untersagt Aufzeichnen ihrer Sitzungen - bis 250 000 Euro Bußgelder drohen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollten sich Schwerins Politiker freuen, wenn Bürgerinnen und Bürger an ihrer Arbeit interessiert sind. So sehr, dass sie vielleicht die im Internet live übertragenen Sitzungen des Kommunalparlaments in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt sogar Zuhause auf dem Computer speichern. Eigentlich. Doch stattdessen schwingt die Stadtvertretung jetzt eine juristische Keule über alle, die es wagen, die Debatten auf der heimischen Festplatte zu konservieren. Bis zu einer Viertel Million Euro schwer ist der Drohhammer aus dem Rathaus.

Mit Mehrheit hat das Gremium unlängst einem Antrag der CDU-Fraktion und der »Unabhängigen Bürger« zugestimmt, der die Speicherung der Sitzungsübertragung per Livestream »ausdrücklich untersagt«. Jenes »im Namen der Stadtvertreter« erlassene Verbot prangt nun allen entgegen, die am Monitor eine Zusammenkunft des Kommunalparlaments verfolgen wollen.

Zu einem Verbot gehört zumeist auch ein Drohen mit üblen Folgen für jene, die es missachten - so auch in Schwerin. Dort hat die Stadtvertretung ihren Oberbürgermeister beauftragt, er möge Bösewichten, die eine Sitzung »bei Missachtung« der Untersagung dennoch speichern, »eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zukommen lassen«. In ihr soll sich der ungehorsame Bürger oder die unbotmäßige Bürgerin verpflichten, ihr schlimmes Handeln nicht zu wiederholen und - tun sie es doch - »ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 250 000 Euro zu zahlen«.

Diejenigen Stadtvertreter, die solch drastische Drohung befürwortet haben, hatten ihren Antrag begründet: Seit geraumer Zeit werde die Livestream-Übertragung der Sitzungen »von Unbefugten aufgezeichnet und ins Internet gestellt«. Wie der Informationsblog Netzpolitik.org berichtet, befürchten mehrere Schweriner Kommunalpolitiker, »manipulativ zusammengeschnittene« Videos aus den Sitzungen im Internet zu finden. Juristisch fundiert sei das Speicherverbot der Debatten mit dem Persönlichkeitsrecht der Abgeordneten.

Das Argument, Aufzeichnungen könnten manipulativ zusammengeschnitten werden, dürfte eine vorgeschobene Ausrede sein, zitiert Netzpolitik.org Roman Ebener von der Nichtregierungsorganisation abgeordnetenwatch.de. Er betont: Demokratie brauche öffentliche Kontrolle - und Aufzeichnungen, die jeder und jedem zur Verfügung stünden, seien dazu eine gute Möglichkeit. »Strafen für das Mitschneiden von Plenarsitzungen zu verhängen ist nicht nur befremdlich, sondern auch gefährlich«, meint Ebener dazu.

Schwerin steht mit dem strengen Nein zum Speichern offenbar einsam und allein unter den Landeshauptstädten, sofern diese die Sitzungen ihrer Kommunalparlamente live übertragen. Ob Kiel, München, Magdeburg, Düsseldorf oder Potsdam zum Beispiel: kein Aufzeichnungsverbot.

Überhaupt: Ob ein solches Verbot eingehalten wird im Nordosten, dürfte schwer zu kontrollieren sein. Denn nur wenn jemand einen Mitschnitt offen ins Netz stellt, etwa auf der Plattform Youtube, wäre es unter Umständen möglich, den »Schuldigen« zu ermitteln.

Selbst Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) scheint die Sache skeptisch zu sehen. Weist er doch auf seiner Stellungnahme zum Antrag der Aufzeichnungsgegner darauf hin, »dass die Einholung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung im Einzelfall Schwierigkeiten begegnen dürfte«.

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