Von Regenterror und abgesoffenen Extremisten

Sieben Regentage, sieben Regennächte: Regina Stötzel über eine weggespülte Zeit

Die Sprachforschung hält immer wieder Überraschungen bereit - etwa als sie vor einer Weile mit dem Irrglauben aufräumte, die Inuit hätten die meisten Wörter für Schnee, und statt dessen in der schottischen Sprache 421 Ausdrücke dafür fand. Doch generell gilt: Gegenden mit übermäßig viel Niederschlag erkennt man an der Fülle der kaum exakt in andere Sprachen zu übertragenden Wörter, die diesen Vorgang beschreiben. So beschreibt »fisseln« im Siegerländer Platt einen gänzlich anderen Sprühregen als »nieseln«, und der Ausdruck »et trätschd« (ungefähr: es regnet in Strömen) sagt nicht nur etwas über die Stärke des Niederschlags aus, sondern enthält auch eine gefühlte zeitliche Komponente, die auf die Ewigkeit hindeutet.

Im ganzen Land sind aktuell aufgrund des Klimawandels dramatische sprachliche Veränderungen festzustellen. So reden nicht mehr alle vom »Wetter«, sondern vielmehr vom »Unwetter«. Das Wort »Regen« wird generell von »Starkregen« ersetzt, »Platzregen« allmählich von »Dauerregen«. »Starkregen« ist im Gegensatz zum »Regen« naturgemäß nicht »stark«, sondern »extrem« oder »sintflutartig«. Städte, Ortschaften oder Wiesen sind in Folge von Niederschlägen nicht mehr »nass«, sondern mindestens »betroffen«, meist aber »überschwemmt«, »abgesoffen« oder »weggespült«.

Das Adjektiv »forsch« ist bereits vollständig dem Determinativkompositum »nassforsch« gewichen. »Ins Schwimmen« gerät man nicht mehr bei hochnotpeinlichen Befragungen, sondern unter den Berliner Yorckbrücken oder auch vor der eigenen Haustür - mit politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen: Eltern wird dazu geraten, ihre Kinder in Schwimmkurse zu schicken, bevor sie unbeaufsichtigt in Pfützen spielen dürfen. Gummistiefel-, Schlauchboot- und Autanindustrie glänzen mit dreistelligen Wachstumsraten. Die AfD verlangt, Tiefdruckgebiete mit Namen wie »Iwan«, »Tarek« und »Zlatan« abzuschieben; Peter Altmaier vergleicht den Regenterror mit dem von Linksextremisten; Jürgen Todenhöfer recherchiert in den Krisengebieten für seine nächste Publikation »10 Tage im Schlammigen Staat«.

Der Tagesablauf der Menschen richtet sich nicht mehr nach Kirchenglocken, Werkssirene oder Günther Jauch, sondern nach dem Regenradar. Dass dennoch alle immer wieder von extremen Starkregen überrascht werden, hat eine republikweite Diskussion über die Glaubwürdigkeit von Wetter-Apps entfacht. Ersten Umfragen zufolge halten Bürger wetteronline & Co. sogar für noch weniger glaubwürdig als Politiker im Bundestagswahlkampf. Diese Begrifflichkeit allerdings lässt sich mit ein paar simplen Formeln als vormeteorologische Kategorie entlarven: siehe Seite 21.

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