Todesschütze muss in Haft

Israel: Berufungsgericht bestätigt 18 Monate für Ex-Soldaten Elor Azaria

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf den ersten Blick scheinen die Fakten klar. Es gibt ein Video des Vorfalls im März 2016: Ein am Boden liegender Mensch ist darauf zu sehen, umgeben von israelischen Soldaten, von Sanitätern. Dann geht einer der Soldaten auf den am Boden Liegenden - ein Attentäter, der kurz zuvor durch nichttödliche Schüsse niedergestreckt worden war - zu, schießt ihm in den Kopf.

Es war der Beginn einer Ermittlung, eines Verfahrens, dass die israelische Gesellschaft spaltete, und wie nie zuvor einen Graben zwischen Regierung und Militärführung sprengte. Auf der einen Seite stehen Rechte und Regierungspolitiker, die den Soldaten Elor Azaria, damals ein junger Wehrdienstleistender, zum Helden erklärten. Er habe getan, was andere sich nicht trauten, so Regierungschef Benjamin Netanjahu im Juni 2016; das Verfahren gegen Azaria werde verhindern, dass sich Soldaten künftig stärker zurückhalten. »Hoffentlich«, sagt indes Mosche Yaalon, Ex-Generalstabschef und bis Juni 2016 Verteidigungsminister. »Es muss jedem Soldaten klar sein, dass das Militär keine Selbstjustiz duldet.«

Im März war Azaria unter massiven Protesten von Rechten und der Regierung wegen Totschlags zu 18 Monaten Militärhaft verurteilt worden. Am Sonntag verwarf ein Berufungsgericht einen Revisionsantrag, bereits am Dienstag muss Azaria nun die Haft antreten. Die Zeit seit der Tat verbrachte er in Militär- und, seit seiner Entlassung aus dem Militär, im Hausarrest. Diese Zeiten werden nicht auf das Urteil angerechnet.

Rechte und Regierung fordern nun, Präsident Reuven Rivlin solle Azaria begnadigen. Doch dazu ist ein vorheriger Antrag notwendig; zudem ist es üblich, wenn auch nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass die Antragsteller entweder neue Beweise für ihre Unschuld vorlegen oder aber Reue zeigen.

Beides ist aber bislang nicht geschehen, auch wenn der Fall längst nicht so klar gelagert ist, wie er auf dem Video scheint. Die Anklage wirft Azaria vor, er habe dem Attentäter aus Rache in den Kopf geschossen, es habe keine Gefahrensituation bestanden. Azaria indes führte an, er sei davon ausgegangen, dass von dem am Boden Liegenden weiterhin eine Gefahr ausging. Mehrere Zeugen sagen, zuvor habe ein ziviler Rettungssanitäter aus der Siedlung Kirjat Arba ein Messer mit dem Fuß in die Nähe des am Boden Liegenden getreten und die Soldaten dazu aufgefordert, aktiv zu werden - der Palästinenser sei weiterhin bewaffnet. Mittlerweile wurde öffentlich, dass der Mann rechtsextremen Gruppen nahesteht. Unklar ist aber auch, ob ein Offizier anwesend und ansprechbar war. Der Vorgesetzte vor Ort änderte im Verlauf des Verfahrens seine Aussage 14 Mal.

Das Militär und Bürgerrechtsorganisationen loben das Verfahren als gelungene Aufarbeitung, obwohl das Militärgericht die Umstände nicht völlig aufklären konnte; dies soll nun ein Untersuchungskomitee des Verteidigungsministeriums tun.

Niemand dürfe damit rechnen können, unter dem Deckmantel der Uniform mit Verbrechen davon zu kommen, sagt Yaalon: »Gerade weil unsere Armee sich seit Jahrzehnten Tag für Tag im Krieg befindet, ist es wichtig, klar festzulegen, was moralisch vertretbar ist, und was nicht.« Denn erschwerend komme hinzu, dass das Militär auch in einer politisch und emotional aufgeladenen Situation agiert. Immer wieder wird in Israel dazu aufgerufen, Attentäter sofort zu töten. Das Militär, das sich zu einem erheblichen Teil aus Wehrdienstleistenden rekrutiert, müsse sich gegen solche Tendenzen stemmen: »Die Armee muss verteidigen, nicht rächen. Denn sonst sind wir nicht besser als Gruppen wie die Hamas.«

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