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Bitte recht freundlich in die Kamera

Am Bahnhof Südkreuz in Berlin ist ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung gestartet / Deutscher Anwaltsverein: »Massiver Eingriff in Grundrechte«

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder Spionagefilm hat es: Kameras, die per Knopfdruck das Gesicht erkennen und es der Identität eines Verdächtigen zuordnen können. Der Bahnhof Südkreuz hat es jetzt auch. Am Dienstag startete dort ein Pilotprojekt zur Erprobung intelligenter Videotechnik zur Gesichtserkennung. »Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein«, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Auftakt des Testlaufs. Videoüberwachung leiste dazu einen wichtigen Beitrag, in dem sie abschrecke und bei der Aufklärung von Straftaten helfe.

In einem sechsmonatigen Testbetrieb wollen das Bundesinnenministerium, die Deutsche Bahn, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt den Einsatz einer speziellen Software testen, mit der Überwachungskameras Gesichter erkennen und zuordnen. Mit der Technik sollen Terroristen und andere gefährliche Personen schneller erkannt werden. Bei dem jetzigen Probelauf sollen nicht etwa die Gesichter aller Fährgäste des großen Fern- und S-Bahnhofs aufgenommen werden. 275 Probanden haben sich freiwillig zum Probelauf zur Verfügung gestellt.

Ihre bei der Bundespolizei hinterlegten Fotos samt biometrischer Daten sollen mit den Aufnahmen der Kameras in einer Datenbank abgeglichen werden. Von einem »massiven Eingriff in die Grundrechte« spricht der Deutsche Anwaltverein (DAV). »Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein«, sagte der DAV-Präsident Ulrich Schellenberg zum Start des Gesichtserkennungsprojekts. »Dieses Scannen führt zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung«, sagte Schellenberg weiter.

Das Bundesverfassungsgericht habe in mehreren Entscheidungen ausdrücklich vor derartigen Effekten gewarnt. So beispielsweise in dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung oder im Urteil zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen. Der DAV-Präsident betonte, dass sich die rechtlichen Bedenken nicht gegen den Probebetrieb, sondern gegen den späteren Einsatz der Gesichtserkennungssoftware im Echt-Betrieb richten würden. Mit der Kritik an dem Einsatz von erkennungsdienstlicher Videoüberwachung steht der DAV nicht alleine da.

Auch die Berliner Datenschutzbeauftragte, Maja Smoltczyck, sieht den Einsatz der Technik kritisch. »Die große Gefahr besteht darin, dass umfangreiche Bewegungsprofile von Bürgerinnen und Bürgern erstellt werden können und damit das Recht, sich frei und unbeobachtet in der Öffentlichkeit zu bewegen, infrage gestellt wird«, sagt Smoltczyck. Die Datenschutzbeauftragte warnt davor, dass eine flächendeckende Nutzung der Gesichtserkennungssoftware erhebliche Sicherheitsrisiken bergen würde. Sollten die sensiblen Daten in falsche Hände gelangen, drohe Betroffenen der Identitätsdiebstahl. Da biometrische Daten nicht veränderbar sind, hätte das gravierende Folgen.

»Verfahren zur biometrischen Gesichtserkennung greifen in die Persönlichkeitsrechte ein.« Smoltczyck plädiert daher für einen äußerst zurückhaltenden Einsatz der Technik. »Das Südkreuz-Projekt ist der falsche Weg«, findet auch Friedemann Ebelt von der Initiative Digitalcourage. London, die Stadt mit der größten Dichte von Kameras weltweit, sei durch den Ausbau der Videoüberwachung nicht sicherer geworden. »Tatsächlich führt Überwachung nur zu überwachten Menschen«, sagt Ebelt.

Digitalcourage ruft Bahnreisende in Südkreuz, die nicht von einer der neuen Kameras erfasst werden wollen, dazu auf, sich mit Make-up und Kopfbedeckungen zu »tarnen«. Unter dem Hashtag #SelfieStattAnalyse soll man Fotos seiner Verkleidung dann in sozialen Netzwerken hochladen. Auch die Gruppe »Freiheit statt Angst« kritisiert das Pilotprojekt zur Gesichtserkennung. Für den Dienstagnachmittag hatte die Gruppe zu einer Protestaktion am Bahnhof Südkreuz aufgerufen.

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