Mehr Planwirtschaft, bitte

Tom Strohschneider über die Autokrise, Warnungen vor dem Sozialismus - und den falschen Gegensatz »mehr Staat« versus »mehr Markt«

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Debatte über das, was einmal ein Skandal um frisierte Abgaswerte war, läuft inzwischen auf ziemlichen vielen Ebenen. Das erschwert mitunter den Überblick, was in der einen Echokammer gesagt wird, hat manchmal auch etwas mit einer ganz anderen zu tun - oder auch nicht. Und nur weil es immer krawalliger wird, muss es ja nicht erkenntnisreicher werden. Aber eben vielleicht doch. Also, wie ist die Lage?

Auf einer technisch-ökologischen Ebene stellt sich die Frage, was eigentlich ein Umstieg auf Elektro-Autos bringen würde, wenn es beim bisherigen Mobilitätsmodell bleibt - die Minderung der Emission ist zunächst begrenzt, es geht eher um technologische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern, in denen bestimmte Entwicklungen weiter sind. Tesla lässt grüßen.

Auf einer technisch-gewerkschaftlichen Ebene wird daraus ein anderes, freilich zusammenhängendes Problem: Wie geht es mit den Beschäftigten einer Branche weiter, die nicht nur groß und verflochten ist, sondern auch eine Art Premiumsektor des Proletariats darstellt, die oft tarifpolitisch maßstabbildend sind, deren kaufkräftige Nachfrage ein volkswirtschaftlicher Faktor ist, die letzten Endes auch eine Masse darstellen, die politisch zu einer kritischen werden kann.

Das betrifft dann nicht zuletzt die wahlkampfpolitische Ebene, die auch bespielt wird - und auf der es bisher zuvörderst darum geht, die Verantwortung jener Partei für dies oder als drohend empfundene künftige Handlungen einer anderen Partei für das anzuprangern. Hat der Verkehrsminister überhaupt ein Interesse an politischer Kontrolle und Regulierung einer Industrie, die sich einflussreiche Lobbyisten halten kann, die selbst eben noch in der Regierung waren? Oder was ist mit einem Ministerpräsidenten, der eine Rede dem Konzern vorlegt, den er eigentlich kontrollieren soll, weil er Miteigentümer ist, dabei aber mehr das gesamtgesellschaftliche Interesse vertreten müsste als das partikulare einer Konzernführung?

Der eigentliche Kern der Autodebatte

Nun sind die Attacken auf Stephan Weil auch deshalb wohlfeile Ablenkung, weil sie so offenkundig auf einer Intrige basieren: Die CDU in Niedersachen wusste längst, dass es diese »Kommunikation« um die schon länger zurückliegende Rede des Sozialdemokraten gab. Man hat sie aufgehoben, um sie nun vor dem Hintergrund einer rot-grünen Landesregierungskrise anzuwenden. Das sieht durchaus nach Planung aus, und damit sind wie bei einer Ebene der Auto-Debatte, die endlich dem Kern des Problems nahekommt: Wie viel Plan ist gut und wer plant da eigentlich?

Sowohl bei der Frage, ob ein Umstieg auf ein anderes Antriebsmodell von Kraftfahrzeugen sinnvoll ist als auch mit Blick auf das VW-Gesetz, das die Voraussetzungen für die Beteiligungen Niedersachsens am gleichnamigen Autokonzern bildet, warnen die einen lautstark vor »Planwirtschaft«, während es genau darum geht: um die Frage, wie mit einem Problem geplant, das heißt, auf Fakten basierend, in der Öffentlichkeit ausgehandelt und demokratisch legitimiert umgegangen werden soll. Im besten Fall: wie es gelöst wird.

Damit, das könnte gewissermaßen der Kollateralnutzen der ganzen Debatte werden, ist eine Frage gestellt, die seit Jahrzehnten meist unter Hinweis auf die Hinfälligkeit realsozialistischer Ökonomien als längst beantwortet galt - dies aber keinesfalls ist. »Sozialistische Planwirtschaft im Automobilbau ist inzwischen der Traum vieler Leute in der freien Welt«, so formuliert die »Frankfurter Allgemeinen« die Abwehrposition.

Richtiger erster Schritt: Belegschaftseigentum

Der Linkspolitiker Dietmar Bartsch markiert den Gegenpol mit der Forderung, Landesanteile an die VW-Belegschaft zu übertragen, um so mehr Mitsprache derer zu ermöglichen, die erstens die Produkte herstellen und damit den Reichtum, der ungleich angeeignet wird; die aber zweitens die Suppe auslöffeln müssen, wenn im Interesse dieser ungleichen Aneignung - sagen wir: zum Beispiel wegen kurzfristigem Renditedenken langfristige Ziele aus dem Blickfeld rücken, Ziele also, die auch Planung und Steuerung voraussetzen.

Belegschaftsanteile würden für sich genommen noch keines der oben genannten Probleme lösen, aber sie könnten eine Voraussetzung dafür sein, die gesellschaftlichen Verabredungen, die bei einem Umbau einer ganzen Industrie nötig werden, zu demokratisieren. Eben: die Demokratie auf das Werksgelände auszuweiten, wo sie trotz Mitbestimmung ein Schattendasein führt. Natürlich: Das stellt auch Fragen nach der Macht von Gewerkschaften, die manchmal mehr im eigenen als im Interesse von Beschäftigten und Res publica agieren. So, wie man es auch der Parteipolitik vorwerfen muss.

Aber: »Der Wirtschaft«, wie das hierzulande gern genannt wird, wenn von Unternehmen, den in ihr herrschenden Interessen sowie den daraus folgenden Managementstrukturen und Entscheidungsabläufen die Rede ist, »die Wirtschaft« jedenfalls agiert gewiss nicht im Interesse dieser Allgemeinheit, auch wenn das jeden Tag dreimal behauptet wird. Selbst wenn man einen positiven gesellschaftlichen Nutzen durch kapitalistische Betätigung sehen will, und dafür gibt es viele viele Gründe, ist die Logik, die ihn hervorbringt, nicht zwangsläufig die Logik der Gesellschaft.

Demokratische Vernunft gegen kapitalistische Anarchie

Weder schafft ein Konzern Jobs aus arbeitsmarktpolitischen Gründen noch ändert er seine Produktpalette aus gesellschaftpolitischer Räson. Sofern beides geschehen soll, ist nicht nur Planung durch eben jene Gesellschaft nötig, sondern auch ein Hebel, der lang genug ist, in die Entscheidungen von Konzernen einzugreifen. Es ginge also darum, demokratisch vermittelbare Vernunft gegen eine kapitalistische Anarchie zu stärken, die ihrer eigenen »Logik« folgend unter Umständen auch alles zerstört, was sie zuvor hervorbrachte. Auch Jobs, auch »wirtschaftliche Stärke«, auch den »Standortfaktor«, auch ihre eigene »regionale Bedeutung« - und was immer an lobpreisenden Begriffen in die Runde geworfen werden.

Das ist für jene schwer zu akzeptieren, die derzeit noch nicht die Verbindungen zwischen den eingangs genannten Ebenen der Autodebatte sehen wollen. Die Kritik am »moralisch-politischen Komplex«, der nun eine Schlüsselindustrie in die Knie zwingt, kehrt nicht nur die realen Verhältnisse um, denn die Krise, die haben die überbezahlten Manager der Konzerne ganz allein geschafft. Sie erklärt fahrlässiger Weise auch einen denkbaren Ausweg aus dem Kladderadatsch zum eigentlichen Problem - einen Ausweg, in dem demokratische, planvolle Steuerung die Richtung weisen müsste.

Wer das Sozialismus nennen will, soll das tun. Entscheidend ist aber, die substanzielle Alternative zu erkennen: Mehr Demokratie, das heißt, mehr Möglichkeiten, im allgemeinen Interesse, das – natürlich! – von vielen Widersprüchen durchzogen ist, voranzukommen - und so unter dem Strich den jeweils größtmöglichen Schritt in Richtung Joberhalt, nachhaltigem Strukturwandel, sozialer und ökologischer Entwicklung der Mobilität, technologischer Entwicklung, die von Naturabhängigkeit befreit, von mir aus auch: in Richtung mehr Spaß zu machen.

Selbstbehauptung des gesellschaftlichen Interesses

Oder eben jene Zustände noch zu radikalisieren, etwa mit der Forderung, die VW-Anteile Niedersachsens zu privatisieren, die für die in mehrerlei Hinsicht kritische Lage verantwortlich sind. Zugegeben, denen, die so reden, spielen lobbyistische Abhängigkeiten und das Gebaren der Handelnden gerade im Fall VW in die Hände. (Und es ändert daran nicht viel, dass manche der Kritiker in parteipolitischem Auftrag an anderer Stelle genauso lobbyistische Vollstrecker von Kapitalinteressen sind. Die aufgehübschte Rede des einen ist die Parteispende des anderen.)

Jedenfalls ist hier die Frage nach speziellen Eigenarten des Staates und seiner Institutionen aufgeworfen, die nicht unabhängig von den ökonomischen Bedingungen zu denken sind, die dieser Staat einerseits absichert, andererseits ihm diese Ökonomie als angeblich unabhängige, fordernde, widerständige Sphäre gegenübertritt.

Aber es bleibt dabei: Nicht zu viel öffentliche Mitsprache und damit gesellschaftlicher Eingriff in die kapitalistische Produktion von Autos haben ein ganzes Fortbewegungs-, Kultur- und Akkumulationsmodell in den Dreck gefahren - sondern zu wenig. Das lässt sich nicht mit dem Gegensatz »mehr Staat« versus »mehr Markt« beschreiben, es müsste schön die Frage nach der Selbstbehauptung des gesellschaftlichen Interesses gegenüber den partikularistischen Interessen der warenproduzierender Konkurrenz aufgeworfen werden.

Diese Selbstbehauptung findet in einer demokratisch legitimierten Planung ihre Praxis. Sie tut dies übrigens schon jetzt. Nur eben: zu wenig. Will man das Planwirtschaft nennen? Von mir aus. Die historische Patina des Begriffs spricht wohl eher dagegen. Wenn aber nun die damit zusammenhängenden Fragen und Probleme durch die Autodebatte auf die Hauptbühne der politischen Auseinandersetzung kommen, ist das: immerhin ein kleiner Vorteil.

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