Himmelfahrt ohne Landfahrer

Egal wo sie auftauchten, die »Irish Traveller« waren nicht willkommen

  • Sebastian Weiermann, Kevelaer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor fast zwei Wochen wurde erstmals über die sogenannten Tinker berichtet, die in Kevelaer campieren. Mit Dutzenden Wohnwagen-Gespannen und Luxusautos seien sie in dem 30 000 Einwohner Städtchen an der holländischen Grenze eingefallen. Auf dem Parkplatz, auf dem sie stehen, würden beißende Hunde frei herumlaufen. Außerdem würde der Platz vermüllt. Nach Kevelaer waren die »Irish Traveller« gekommen, um sich für Hochzeiten und den Feiertag Mariä Himmelfahrt zu treffen. Nach einem kurzen Aufenthalt mussten sie den Platz wieder räumen. Dies sollte ihnen noch öfter passieren.

Bei den »Irish Traveller« handelt es sich um eine aus Irland stammende ethnische Minderheit. Seit wenigen Monaten werden sie auch von der irischen Regierung als solche anerkannt. Die »Traveller« oder »Pavee« leben seit Jahrhunderten als umherreisende Gruppen in Irland und Großbritannien. Traditionell leben sie vom Handel mit Pavee-Pferden oder von handwerklichen Tätigkeiten, was ihnen den abwertenden Spitznamen »Tinker«, zu deutsch »Kesselflicker« eingebracht hat. Über die Herkunft der »Irish Traveller« ist wenig bekannt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie aus der irischen Mehrheitsgesellschaft stammen und über Jahrhunderte durch ihre nomadische Lebensweise eine eigene Kultur entwickelt haben. Größere Gruppen von »Travellern« leben heute in Irland, Großbritannien und den USA. In Deutschland kennt man sie seit Anfang der 1990er Jahre, als sie auf vielen Baustellen in Ostdeutschland gearbeitet hatten. In Großbritannien und Irland gibt es heute mehrere Organisationen, die sich für ihre Rechte einsetzen. Das »Irish Traveller Movement« führt beispielsweise immer wieder Kampagnen gegen Vorurteile und Hass durch. Von der Antiziganismus-Forschung werden »Irish Traveller« allgemein als betroffene Gruppe anerkannt.

Antiziganistische Ressentiments spielten auch beim Umgang mit und in der Berichterstattung über die »Traveller« in den letzten Wochen keine geringe Rolle. Nachdem sie Kevelaer verlassen mussten, versuchten sie ihr Glück auf anderen Plätzen in der Region. In Düsseldorf zog nach einer Nacht die Bereitschaftspolizei auf, um ein von der Stadt gesetztes Ultimatum zu unterstreichen. In anderen Städten lief es ähnlich. Aus Iserlohn im Sauerland wurde berichtet, die »Traveller« hätten massiven Tankbetrug betrieben, sich in der Innenstadt daneben benommen und den Platz, auf dem sie wild campten, verschmutzt. Ein junger Mann soll Polizisten den Hitlergruß gezeigt haben. Es gibt allerdings auch andere Berichte aus Iserlohn. Der Wirt einer Kneipe sagte gegenüber dem »nd«, die Iren hätten zwar viel getrunken und seien laut gewesen, hätten aber brav ihre Rechnung bezahlt. »Insgesamt gute Gäste«, so der Wirt. Auch Iserlohn mussten die »Traveller« nach nur einer Nacht verlassen. Polizei und Stadt wollten die 400 bis 500 Menschen nicht auf einem Parkplatz dulden.

In Kevelaer hatte man sich auf die Rückkehr der »Traveller« an Mariä Himmelfahrt vorbereitet. Im Voraus teilte die Stadt mit, dass sie Parkplätze, die schon von den Iren benutzt wurden, abgesperrt oder so präpariert habe, dass dort nicht mit Wohnwägen geparkt werden könne. Das Ordnungsamt der Stadt hielt eine Fläche am Rand der Stadt bereit, wo die »Traveller« niemanden stören könnten. Es kam an Mariä Himmelfahrt dann allerdings ganz anders. Die »Traveller« kamen nicht nach Kevelaer.

Als der Münsteraner Weihbischof Rolf Lohman um 10 Uhr mit der Messe in der Marienbasilika begann drängte sich dort, in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche, nur das übliche Wallfahrtspublikum. Katholische Gruppen aus ganz Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden besuchten den Gottesdienst. Lohmann sprach über Maria, die die Schutzpatronin Europas sei und darüber, dass Europa nicht im Nationalismus versinken dürfe. Eine Botschaft der Toleranz, bei der hoffentlich auch einige Bewohner von Kevelaer gut zugehört haben. In sozialen Netzwerken hatten sich viele über die »irischen Zigeuner« beschwert. Auch auf der Straße in Kevelaer waren in Gesprächen immer wieder abwertende Kommentare über die »Traveller« zu hören.

Eine »Travellerin«, mit ihren drei Kindern, kam am Mittag dann doch nach Kevelaer. In der Nähe der Marienbasilika wurde sie von ihrem Mann abgesetzt. Dem »nd« erzählte sie, dass sie zu der großen Gruppe gehörten, die gerade in der Gegend sei. Sie seien jetzt zum Großteil in den Niederlanden, dort sei der Staat nicht so »kompliziert« wie in Deutschland. Nach Kevelaer hätten sich die meisten nicht noch einmal getraut, zu abweisend sei mit ihnen umgegangen worden. Sie wollten auch gar keinen Ärger machen, so die Frau. Ja, manchmal wirkten sie vielleicht etwas wild aber sie seien nicht böse oder gefährlich. Nach dem kurzen Gespräch stellen die vier »Traveller« einige Kerzen gegenüber der Basilika auf, wie es vor ihnen schon Hunderte andere Pilger getan haben.

Antiziganistische Stimmungsmache und die Ordnungspolitik haben es in den letzten Tagen einer ethnischen Minderheit fast unmöglich gemacht, sich an religiösen Traditionen zu beteiligen. Die »Traveller« sind bestimmt keine Engel, unter ihnen mag es Kriminelle geben und wenn die Jugendlichen mal aus der Enge des Wohnwagenlebens ausbrechen, schlagen sie auch über die Stränge. Aber einen Grund für Sorgen und Angst lieferten die »Traveller« in den letzten Tagen nicht. Ein etwas entspanterer Umgang, mit dieser unter Diskriminierung leidenden Minderheit und der Versuch konstruktive Lösungen zu finden, hätte den Behörden gut zu Gesicht gestanden.

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