»Staatliche Eingriffe bremsen den Wohnungsbau«

Stimmt das denn überhaupt? Aufklärung über die herrschenden Mythen in der Wohnungsfrage. Teil 2 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«

  • Lesedauer: 4 Min.

Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wie stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.

»Staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt helfen nicht, das Wohnungsangebot zu vergrößern. [...] Sie säen Misstrauen und verknappen das Angebot zusätzlich.« Hans-Ulrich Rülke, Landtagsabgeordneter der FDP in Baden-Württemberg

Wie wird argumentiert?

Es gibt in Deutschland einen von fast allen Parteien getragenen Konsens, dass der Wohnungsbau vorrangig die Aufgabe von privaten Akteuren ist. 350.000 bis 400.000 neue Wohnungen im Jahr sind laut Bundesregierung, Deutschem Städtetag und dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilien- unternehmen (GdW) notwendig, um vor allem auf den Bevölkerungszuwachs in den Großstädten zu reagieren. Der Staat, so die allgemein geteilte Auffassung, sei schon durch seine begrenzten finanziellen Ressourcen gar nicht in der Lage, die notwendigen Neubauvorhaben selbst zu realisieren. »Wir sind angewiesen auf die freie Wohnungswirtschaft. Die brauchen wir auf jeden Fall«, so Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), während die Bauwirtschaft über staatliche Gängelungen klagt, die private Investitionen in den Mietwohnungsbau gefährden würden. Je stärker die Interventionen und Auflagen des Staates, so die Argumentation, desto geringer sei die Bereitschaft von privaten Bauherren, Wohnungen zu errichten.

Was ist dran?

Die Entwicklung der Bauleistungen in den letzten Jahrzehnten zeigt: Auch unter Bedingungen einer weitgehenden Liberalisierung des Bau- und Mietrechts gab es in Deutschland eine stagnierende und teilweise sogar rückläufige Entwicklung. Allein zwischen 1995 und 2010 ist die Anzahl der pro Jahr errichteten Wohnungen von über 600.000 auf unter 160.000 zurückgegangen. Zuletzt ist die Zahl der neu gebauten Wohnungen leicht gestiegen, liegt aber mit etwa 240.000 Fertigstellungen im Jahr 2016 noch weit unter den früheren Werten.

Bauen ist in Deutschland nicht verboten und private Investitionsentscheidungen dürften weniger von staatlichen Auflagen als von den an Neubauten geknüpften Ertragserwartungen abhängig sein. Ganz grundsätzlich gilt: Gebaut wird von Privaten nur dann, wenn damit eine auch im Vergleich zu anderen Anlageformen mindestens durchschnittliche Rendite zu erwarten ist. Sind die Mietniveaus niedrig, lohnt sich die Errichtung von Neubauten nicht, weil davon auszugehen ist, dass Wohnungssuchende den preiswerten Bestand vorziehen werden. Sind Wohnungen in Städten teuer, bietet der Kauf von bereits existierenden Immobilien oft bessere Gewinnaussichten als eine Investition in den Neubau.

Ohne zusätzliche staatliche Anreize, das macht die historische Entwicklung der Wohnungsbestände seit den 1920er Jahren deutlich, bleiben Neubauaktivitäten begrenzt. Zumindest in den urbanen Ballungszentren ging in der Vergangenheit der Großteil der Wohnungsbauaktivitäten von öffentlichen, gemeinnützigen und genossenschaftlichen und gerade nicht von privaten Bauträgern aus. Gerade weil der Wohnungsbau kostenintensiv und die Zahl der hohen Einkommen begrenzt ist, haben sich private Unternehmen beim Bau von Wohnungen für die Masse der Bevölkerung eher zurückgehalten. Dagegen wurden allein im Zeitraum von 1949 bis 1989 in der alten Bundesrepublik fast fünf Millionen Wohnungen von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichtet. Das entspricht einem Viertel aller in diesem Zeitraum gebauten Wohnungen.

Das Beispiel Berlin zeigt darüber hinaus: Die Bau- und Wohnungswirtschaft war gerade in den Zeiten am leistungsstärksten, in denen sie mit besonders strikten Auflagen konfrontiert war. Die meisten Wohnungen wurden in den 1920er Jahren unter den Bedingungen der Hauszinssteuer – das heißt einer Steuer auf Einnahmen aus Wohnungsvermietungen – erzielt.

In den 1960 Jahren entstanden Wohnungen fast ausschließlich im Rahmen von Förderprogrammen des sozialen Wohnungsbaus, und in den 1980er Jahren war es das staatliche Bauprogramm der DDR, das zu Spitzenwerten bei der Erstellung von Wohnungen führte. Selbst die relativ hohen Neubauzahlen Anfang der 1990er Jahre sind auf staatliche Subventionen zurückzuführen, denn ohne die umfangreichen Steueranreize der sogenannten Sonder-AfA (Sonderabschreibung für Anlagen) hätte es keinen Bauboom in Berlin gegeben.

Fazit

Anders als behauptet gibt es also keinen empirischen Beleg dafür, dass staatliche Eingriffe den Wohnungsbau bremsen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Mehr Wohnungsbau braucht starke staatliche Interventionen.

Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.

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