Ein erster unabhängiger Kurdenstaat

Das Referendum zur Unabhängigkeit von Irakisch-Kurdistan stößt auf harte Gegnerschaft vor allem der Türkei

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein bereits sehr lange gehegter Traum. Nun soll sie endlich in Erfüllung gehen, die Vision des ersten unabhängigen Kurdenstaates. Seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg war es den Kurden von den Siegermächten versprochen worden. Dazu gekommen ist es nie. Jetzt aber will Massud Barzani, der Präsident der Autonomieregion Irakisch-Kurdistan, die Gunst der Stunde nutzen und die Unabhängigkeit ausrufen. Formale Voraussetzung dafür wäre ein Ja bei der von Barzanis Regierung angesetzten Volksabstimmung am 25. September. Doch je näher der Tag rückt, desto deutlicher formiert sich der Widerstand dagegen - nicht in Irakisch-Kurdistan, Barzani kann zu Hause durchaus mit einer sicheren Mehrheit rechnen - wohl aber von allen Nachbarn.

Besonders aus der Türkei ist der Ton gegenüber Barzanis Regierung inzwischen bedrohlich geworden. Dabei hatte er in Ankara stets unerklärte Verbündete. Der türkische Staat stützte die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen stets aus Prinzip, um Iraks Zentralmacht zu schwächen - bis zu einem gewissen Punkt. Von einem selbstständigen Kurdenstaat war in Ankara nie die Rede. Zu sehr fürchtete man die Beispielwirkung für die türkischen Kurden.

Völkerrechtlich gesehen geht es die Türkei nichts an, was auf irakischem Territorium geschieht. Deshalb attackiert Ankara das Referendum, indem es sich um die Verfasstheit Iraks besorgt zeigt. So erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Mittwoch dem Fernsehsender TRT Haber, die Volksabstimmung könnte zu einem Bürgerkrieg führen. Den gibt es zwar längst, und die Türkei ist wie nebenan in Syrien kräftig darin involviert, aber offiziell respektiert man die Republik Irak noch immer als Einheitsstaat. «In diesem Land», so der Außenminister, «das so viele Probleme hat, könnte ein Unabhängigkeitsreferendum die Situation noch verschlimmern.»

Bereits am Dienstag hatte der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag gewarnt, dass das Unabhängigkeitsreferendum gegen die irakische Verfassung verstoße, und «zur Instabilität in der Region beitragen» werde. Noch vor wenigen Monaten bei der Rückeroberung der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul von den Milizen des Islamischen Staates (IS) war Ankara gegen den erklärten Willen der irakischen Zentralregierung mit eigenen Verbänden vertreten. Die Beschwerden Bagdads, dies verstieße gegen die irakische Souveränität, hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinerzeit vom Tisch gewischt.

Aber auch Barzani nimmt es mit den Tatsachen nicht so genau. Bereits im Februar hatte er in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», wo er das Referendum erstmals in internationalen Medien angekündigt hatte, Einwände zurückgewiesen. «Das ist eine interne Angelegenheit zwischen uns und Bagdad, die nichts mit Iran und der Türkei zu tun hat», so Barzani vor einem halben Jahr.

Dies ist zwar richtig, allerdings vergaß Barzani hinzuzufügen, dass auch Bagdad das Referendum strikt ablehnt. Darauf angesprochen, erklärte er später, die Abstimmung sei ein «naturgegebenes Recht des Volkes in Kurdistan». Die Tage Iraks als Staat mit einer starken Zentralregierung seien vorbei.

Das ist faktisch tatsächlich schon lange der Fall. Seit der Niederlage der Truppen von Iraks Staatschef Saddam Hussein im Golfkrieg von 1991 gegen die US-Truppen und ihre Verbündeten existierte eine Flugverbotszone der USA über zwei Dritteln des irakischen Territoriums, u. a. das Kurdengebiet im Norden. Seitdem ist Irakisch-Kurdistan militärisch außer Reichweite für jede Bagdader Regierung gewesen. Arbil, der Sitz der Autonomieregierung, wird seitdem wie eine Hauptstadt geführt, wo sich Vertretungen aller westlichen Länder tummeln, die nur nicht Botschaften heißen. Die USA wären also Hauptgeburtshelfer eines kurdischen Staates, so er denn entstünde. Dennoch signalisiert auch Washington Ablehnung. Sie kam nicht unerwartet, wollen die USA doch die derzeit ohnehin schwierigen Beziehungen zu Ankara nicht weiter strapazieren.

So sagt man das freilich nicht, sondern flüchtet sich in politische Floskeln. Ein Referendum, so US-Außenminister Rex Tillerson in einer Botschaft an Barzani, könnte von «wichtigeren Prioritäten» wie dem Kampf gegen die Terrormiliz IS« ablenken.

Anders als die Regierungen in Damaskus und Teheran, die ihre kurdischen Minderheiten ebenfalls nicht in Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt sehen wollen, droht die Türkei mit einer Militärintervention in Nordirak. Die USA sind dabei in der Zwickmühle: Wollen sie weiter Schutzmacht der irakischen Kurden sein, oder ist es ihnen wichtiger, Erdogan nicht noch mehr zu erzürnen?

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