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Gelb strahlt grenzenlos und ringt dabei mit dem gewaltsam drohenden Rot

Der Berliner Altmeister Willibrord Haas zeigt in der Galerie am Gendarmenmarkt seine Arbeiten der letzten Jahre

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der 81-jährige Willibrord Haas ist einer der letzten noch lebenden Künstler der »Nachkriegs-Abstraktion«. »Raumgreifende Aktionen, große Farbräume, gleitende Empfindungen wie beim Schwimmen oder bei der Ballonfahrt, langsam, geräuschlos«, hat er selbst seine Malerei bezeichnet, während seine Aquarelle und Farbradierungen mehr Ausschnitte aus einem größeren Ganzen darstellen.

Seine Bilder sind reine, in sich bestehende bildnerische Ereignisse. Was sich in ihnen ereignet, wird allein auf der konkreten Ebene als reine Farbveranstaltung gemacht. Die Farben treten in lockerer, sinnlicher Fülle auf die Leinwand. Sie glühen auf und verdämmern im Spannungsbogen zwischen Licht und Finsternis. Jedes Bild ist nur eine andere Ausfaltung dieser Übereinstimmung des Auseinanderstrebenden, des Hellen im Dunklen, der Ruhe in der Bewegung, des Milden in der Härte, des Tages und der Nacht in der Natur und in uns, der widerstreitenden Einheit unserer Existenz und der alles Leben ermöglichenden Kräfte von Licht und Finsternis. Die Farben kommen Objekten sehr nahe, ja sie scheinen sich gleichsam zu flächig räumlichen Objekten zu formieren. Gelb strahlt grenzenlos nach außen, es hat aber keine Resonanz und Tiefe. Rot ist dagegen die Farbe der lebenskräftigen Bewegung, es kann aber auch etwas Zwingendes, Gewaltsames, Drohendes haben. Während Grün in sich selbst ruht, macht Blau den Eindruck, als löse es sich in einer verströmenden Bewegung auf. Gerade das saugende Blau der Fläche ist bei Haas von einer magischen Anziehungskraft für den Betrachter. Überhaupt soll das Bild mit aller Macht über ihn, den Betrachter, kommen, er soll sich gleichsam ins Bild hineingezogen fühlen.

Zwischen die einzelnen Farbschichten setzt der Künstler in divergierende Richtungen geordnete Linienabläufe, sodass der Gesamteindruck aus der optischen Mischung von farbigem Grund und linearem Netzwerk besteht. Die in verschiedenen Schichten liegenden Linien erzeugen zwischen sich Raum, wobei das Auge die dunkleren Linien mehr dem Hintergrund, die helleren Linien mehr dem Vordergrund zurechnet.

Mit teils verstärkten, teils dünnen Linien werden durch die optische Aktivität des Betrachterauges Raum- und Bewegungsvorstellungen erzeugt.

Teils arbeitet der Künstler noch mit gegenständlichen Analogien (»Das rote Huhn«, »Fackelbündel«, »Bunter Schwalbenschwanz«), landschaftlichen Elementen (»Blaue Wolke - Großer Regen«, »Oben Himmel - unten Pflanzengrün«, »Augenwaide«, »Blau, quirselig«), teils mit kosmischen Visionen, wie in unendlichen Welten sich bewegenden Himmelskörpern (»Planet in Glut«, »Erdenrund-Leuchten«). Es ist, als schwebe das Bild aus der irdischen Perspektive mit ihrem einfachen Tiefenzug von Vordergrund über Mittelgrund zum Hintergrund in eine kosmische empor, in der diese klare Abfolge durch eine kompliziertere, wogende Atmosphärik abgelöst wird. Die Farben entmaterialisieren sich zu Farbklängen und locken die Assoziation zur Musik heran.

Durch die Linie, die Struktur, Form und Nichtform, Licht und Dunkelheit, das Ein- und Mehrfarbige, das Bewegte und Unbewegte schafft Haas die Einheit eines flächenräumlichen Kontinuums. Ein Erscheinungsbild wird aufgebaut, das sich zwar mit der menschlichen Erfahrung identifizieren lässt, das aber doch kein Abbild darstellt. Bezeichnung und Wirklichkeit stehen so in fantasievoller Distanz.

Seine Bilder bleiben mit der großen handschriftlichen Geste, der Übertragung der psychischen Aktion in die große Bildform wichtig. Aber auch die kleinen Arbeiten erweisen diesen handschriftlichen Charakter mit den schwebenden Farben und flüssigen Linien, mit komplizierten Überlagerungen, Durchdringungen und Überschneidungen.

Bis 5. September, Willibrord Haas. Spintisierung - vom Gedanken in die Farbe. Galerie Kunst am Gendarmenmarkt, Hotel Hilton Berlin, Mohrenstraße 30/Eingang: Markgrafenstraße, Mitte

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