Der lange Sommer der Gewalt

Wie es vor 25 Jahren zum Rostocker Pogrom kam und was dieses heute bedeutet

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Die Wurzeln der Sonnenblume, so lehren botanische Lexika, reichen bis zu zwei Meter in den Boden. Und auch die Wurzeln dessen, was vor einem Vierteljahrhundert vor dem mit einer Sonnenblume verzierten Hochhaus an der Mecklenburger Allee in Rostock geschah, sind tiefer als oft angenommen.

Die rassistischen Krawalle, die den Stadtteil Lichtenhagen zwischen dem 22. und 24. August 1992 zum Sinnbild eines dunklen und bedrohlichen Deutschlands machten, waren wegen ihrer Öffentlichkeit und ihres Volksfestcharakters der spektakuläre Höhepunkt einer Serie von rechten Gewalttaten, die sich besonders durch die Jahre 1991 und 1992 zieht - und eine Generation militanter Neonazis beflügelte.

Denn die Ausschreitungen, die Angriffe, die Überfälle dieses langen Sommers waren ein trauriger Erfolg. Nicht nur konkret vor Ort in Rostock, wo die Opfer der Attacken eilig weggebracht wurden, sondern auch in der großen Politik, die sich nur Monate später auf eine drastische Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz verständigte. »Lichtenhagen« war so ein Katalysator einer politischen Kampagne, die die Debatte der Bundesrepublik zu dieser Zeit beherrschte - und die schon lange vor dem Beitritt der DDR begonnen hatte. Bundeskanzler Helmut Kohl persönlich benutzte die Gewalt von Rostock als Argument für seinen »Asylkompromiss«.

Dieses Zusammenspiel von politischen Agenden, von Narrativen in den Medien und Gewalt auf der Straße sollte bis heute ein Fanal sein - auch in den zeitgenössischen »Debatten« über geflüchtete Menschen und das Asylrecht. Rostock stellt sich dieser Aufgabe inzwischen. Man nennt das Pogrom ein Pogrom, erinnert an jene, die versagten - und sammelt die Stimmen derer, die damals zu Opfern wurden. vs

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