Der Fokus im Fokus

Die Ausstellung »Fokus und Serialität« beschäftigt sich mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sei aufmerksam!« Konzentration ist eine Größe, die immer wieder abgefordert wird, um die sogar nicht wenige auch buhlen, denn wer etwas anbieten will, braucht die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen. Ob Aufmerksamkeit ein psychisch eigenständiger Prozess ist oder Subform von Gehirnaktivitäten, die auf Umweltkontrolle aus sind, ist wohl erst mal eine pur akademische Frage. Fakt ist, Aufmerksamkeit ist ein begehrtes Gut und ist seit Langem auch ein intensiv bearbeiteter Forschungsgegenstand, dem sich einige eben auch künstlerisch annähern.

Künstlerisch an das Thema heranzugehen, ist bestimmt keine schlechte Art: Sich langsam offen verstehend dem Gegenstand Konzentration, die als das Maß der Aufmerksamkeit gilt, zu nähern, erschafft wohl ganz eigene und wertvolle Sehweisen auf ein uraltes menschliches Geistes-Verhalten.

Und dies demonstriert (ganz deutlich) eine Ausstellung in der Galerie Wagner + Partner, die den Titel »Fokus und Serialität« trägt - womit auch schon ein Zusammenhang offengelegt wird: Reize werden in der Regel seriell verarbeitet, einer nach dem anderen, Aufmerksamkeit hat also einen seriellen Charakter. Und mit diesem spielt besonders intensiv der Künstler Peter Dreher, »der seit Anfang der 1970er Jahre das immer gleiche Wasserglas im immer gleichen Format von 25 mal 20 Zentimetern auf die immer gleiche Weise malt und somit alle ablenkenden Veränderungen ausschaltet«. Dreher will eine gesteigerte Aufmerksamkeit mit seinem Objekt Wasserglas erreichen und erklärt, wie das geschehen soll, so: Die maximale Wiederholung eines Bildmotivs transzendiere das Einzelbild und gäbe diesem einen seriellen Charakter. Beim Betrachten eines Einzelbildes aber werde diese Betrachtung »ad absurdum geführt, der wahrnehmende Blick des Betrachters zugleich irritiert und freigesetzt mit dem Ergebnis, dass der herumirrende Blick wiederum zum konzentrierten Blick wird«. Mehr oder bessere Aufmerksamkeit also durch kurzzeitige Irritation - das Auge sucht nach einem festen Punkt und ruht dann dort.

Drehers künstlerischer Umgang mit dem Wasserglas als ein Objekt der Aufmerksamkeit lässt sich gut in Beziehung setzen zu wissenschaftlichen Betrachtungen: In aktuellen Forschungen zum Thema Konzentration wird von einer ortsbasierten, objektbasierten und dimensionsbasierten selektiven Aufmerksamkeit gesprochen. Jeder dieser Teile hat sein eigenes Muster, unter »dimensionsbasiert« versteht man zum Beispiel Aufmerksamkeit auf Beziehungen zwischen Objekten. Drehers Kunstbetrachtungen erinnern an Beschreibungen in dieser Wissenschaft.

Anders an die Aufmerksamkeit geht der Finne Miklos Gaál heran, der in seinen klassischen Fotoarbeiten mit dem Verhältnis Scharf/Unscharf spielt. Und das kann Gaál mit seinen teils äußerst faszinierenden Fotografien sehr gut. Der Fotokünstler, der hier schon öfter ausstellte, will die Aufmerksamkeit lenken, indem er Bilder schafft, die erst mal irritieren: Die allergrößten Teile des Fotos sind unscharf und entziehen sich der bewussten Wahrnehmung, lediglich ein schmaler scharfer Bereich bietet den Ansatz für ein intensives Verweilen des Auges. Was das anthropozentrische Sehen tagtäglich unbewusst vollzieht - nämlich die Ausblendung alles Nebensächlichen -, setzt Gaál mit seinen Fotos ganz bewusst in Szene.

Eine Ausstellung, die die selbst gestellte Frage, wie erreicht man in der Kunst, dass die Aufmerksamkeit eines Betrachters möglichst lange an einem Objekt haftet, sehr gut beantwortet.

Bis 1.9., Mi. bis Sa., 13-18 Uhr, Galerie Wagner + Partner, Strausberger Platz 8, Friedrichshain

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