Wir müssen die Siegermentalität ausbauen

Folge 120 der nd-Serie »Ostkurve«: Manager Mario Kallnik im Gespräch über den FCM, die 3. Liga, den DFB und die Fans

  • Lesedauer: 9 Min.

Fünf Spiele, vier Siege, Platz drei in der Liga und zudem der Erfolg im DFB-Pokal gegen den Bundesligisten FC Augsburg: Beim 1. FC Magdeburg müsste man zufrieden sein.
Wir sind auf jeden Fall nicht unzufrieden. Wir sind gut gestartet, besser als im vergangenen Jahr, und das ist in dieser brutal ausgeglichenen Liga schon ein Vorteil. Aber wir haben eben auch großen Respekt vor dieser Liga. Da macht es keinen Sinn, in Euphorie zu verfallen. Auch zur Zufriedenheit gibt es keinen Grund, weil wir nicht nachlassen dürfen.

Am Sonnabend kommt Werder Bremen II als Viertplatzierter zum Spitzenspiel nach Magdeburg. Wie sehen Sie solche Duelle gegen zweite Mannschaften von Bundesligisten?
Grundsätzlich wollen wir unsere Heimspiele gewinnen, auch gegen eine gute Bremer Mannschaft. Die Besonderheit ist, dass zweite Mannschaften unterschätzt werden. Weniger von uns als von Außenstehenden, wie Fans und Medien. Dort spielen stets sehr gute Fußballer. Die Bundesligisten haben ein sehr gutes Scouting und bieten eine gute Ausbildung. Das macht diese Spiele vielleicht sogar schwieriger als viele andere.

Zur Person

Seit 2012 führt Mario Kallnik die Geschäfte beim 1. FC Magdeburg. Da war der Verein fast insolvent. Heute ist der FCM schuldenfrei. 2014 verpflichtete der 42-Jährige Manager Trainer Jens Härtel (r.). Gemeinsam gelang ein Jahr später der Aufstieg in die 3. Liga, dort zählt der Verein in dieser Saison schon zum Kreis der Aufstiegsfavoriten. Mit Kallnik sprach Alexander Ludewig über die Entwicklung seines Klubs, den Stadionumbau, die Kommerzialisierung des Fußballs, die Auswirkungen eines Transfers für 222 Millionen Euro auf die 3. Liga und den Dialog mit Fans.

Sie spielen im dritten Jahr in der 3. Liga. Zuletzt wurde es zweimal der vierte Platz. In dieser Saison ist kein großer Favorit auszumachen. Zählt der FCM da nicht zwangsläufig zum Kreis der Aufstiegskandidaten?
Viele zählen uns zum Kreis der Favoriten. Unser guter Saisonstart gibt dieser Annahme Wasser auf die Mühlen. Wir selbst wissen, dass wir über eine gute Mannschaft verfügen, was aber viele weitere Klubs ebenfalls tun.

Kommt man zweimal knapp hinter den Aufstiegsrängen ins Ziel, müsste das Saisonziel bei Ihrem steten Willen zur Weiterentwicklung doch eigentlich klar sein.
In erster Linie wollen wir unser Spiel verbessern. Das ist uns besonders wichtig und darauf konzentrieren wir uns. In den vergangenen Jahren hat das gut funktioniert. Wir haben uns stetig weiterentwickelt. Wenn es uns gelingt, die spielerische Entwicklung weiterhin voranzutreiben, und wir in entscheidenden Phasen das nötige Glück haben, wird irgendwann eine bessere Platzierung die logische Folge sein.

Was wurde konkret dafür getan?
Wir hatten geplant offensiv flexibler zu werden sowie spielerisch mehr Akzente zu setzen. Dementsprechend haben wir unsere Transferpolitik ausgerichtet. Unser Spiel war zu sehr fixiert auf unseren Stürmer Christian Beck. In den ersten fünf Spielen konnte man Ansätze von Übereinstimmung zwischen Plan und Umsetzung erkennen.

Eine wichtige Rolle spielt Jens Härtel. Mit ihm als Trainer gelangen der Aufstieg und die Etablierung in Liga drei. Warum gab es in der vergangenen Saison Unstimmigkeiten bei der Vertragsverlängerung?
Jens und ich haben viele Gespräche zur Vertragsgestaltung geführt. In einigen Punkten gab es anfänglich unterschiedliche Auffassungen. Die hatten nichts mit sportlichen Punkten zu tun, und wir haben sie geklärt. So konnten wir unsere weitere Zusammenarbeit vertraglich fixieren. Sportlich war die Arbeit mit Jens Härtel seit 2014 immer konstruktiv und erfolgreich. Er, sein Trainerteam und die Spieler müssen am Ende die gemeinsamen sportlichen Planungen umsetzen. Und das haben sie in den vergangenen drei Jahren sehr gut gemacht.

An welchen Stellen macht sich der sportliche Erfolg schon bezahlt?
Neben den sportlichen gibt es klare finanzielle Ziele. Selbstverständlich ist der sportliche Bereich unser Kerngeschäft. Ohne finanzielle Kraft ist eine sportliche Weiterentwicklung aber nicht möglich. 2012 starteten wir mit einem negativen Eigenkapital von 400 000 Euro. Zu diesem Zeitpunkt hätte man durchaus kaufmännisch vertretbar eine Insolvenz anmelden können. Heute sind wir nicht nur schuldenfrei, sondern konnten unsere Eigenkapitalquote ausbauen. Der 1. FC Magdeburg ist finanziell gut aufgestellt, um die kommenden Herausforderungen zu meistern. In der Regionalliga hatten wir 150 Wirtschaftspartner, jetzt sind es rund 350. Wir sind bereit, auch zukünftig weiter klug zu investieren, um uns weiterzuentwickeln. Nach der Entschuldung haben wir neben dem Profibereich begonnen, den Nachwuchs intensiver zu fördern und zu fordern. Das macht sich nun, drei Jahre später, an der einen oder anderen Stelle bereits bezahlt.

Wie hat sich der Etat entwickelt?
In der Regionalliga lag der Etat für den Spielerkader bei 1,2 Millionen Euro, jetzt sind wir bei 3,4 Millionen. Der Gesamtumsatz des Vereins ist von 2,5 Millionen Euro auf rund 9,5 Millionen gestiegen.

Die Zuschauerzahlen sind auch gestiegen, 10 200 verkaufte Dauerkarten sind ein Vereinsrekord.
Ja. Der sportliche Erfolgt führt zu einer stetig wachsenden Aufmerksamkeit. Die Euphorie ist auch im dritten Jahr in der 3. Liga ungebrochen. 2012 hatten wir 1600 Mitglieder, aktuell sind es rund 5000. Unser Klub ist auch nicht mehr nur regional präsent. Besonders in den neuen Bundesländern haben wir viele Fans, vor allem aus dem Norden und dem östlichen Bereich der Republik.

Hat der Klub auch deshalb das Spiel in der zweiten Pokalrunde gegen Borussia Dortmund unter das Motto »Treue wird belohnt« gestellt?
Ja. Die Nachfrage ist enorm, wir könnten 50 000 Karten verkaufen. Da unsere Arena maximal 25 500 Zuschauern Platz bietet, haben wir beschlossen, unsere Mitglieder, die unseren Weg bisher mitgegangen sind und diesen weiterhin nachhaltig tragen werden, für ihre Treue zu belohnen.

Erst Augsburg, jetzt Dortmund - zwei Erstligisten als Gegner im DFB-Pokal. Was kann Ihr Verein aus solchen Spielen mitnehmen?
Wenn man eine Runde weiterkommt, steigen natürlich die Einnahmen. Für uns ist die psychologische Weiterentwicklung der Mannschaft, aller Mitarbeiter und der Gremien aber auch wichtig. Wir müssen lernen, unsere Siegermentalität auszubauen. Mir ist bewusst, dass dies schnell als Überheblichkeit ausgelegt werden kann. Es geht aber darum, die erfolgsorientierte Denkweise auszubauen. Gegen Augsburg ist uns ein Sieg gelungen. Wenngleich die sportliche Herausforderung gegen Dortmund wesentlich größer sein wird, bleibt es dennoch unser Ziel, eine Runde weiterzukommen.

Mit 600 000 Euro kann der FCM aus beiden Pokalrunden planen. Welche Bedeutung hat diese Summe für einen Drittligisten?
Wir freuen uns über jede Mehreinnahme, weil sie uns Sicherheit und den Freiraum gibt, uns auf anderen strategischen Feldern zu stärken. Ein konkretes Beispiel: Gegen Borussia Dortmund hätten wir die Eintrittspreise erhöhen können. Wir haben sie aber so belassen wie beim Spiel gegen Augsburg und lieber das Motto »Treue wird belohnt« gewählt. Der Effekt ist nachhaltiger als eine kurzfristige Mehreinnahme.

Solche Spiele machen bestimmt Lust auf mehr. Muss man für einen Aufstieg auch Risiken eingehen?
Risiken gehen wir Jahr für Jahr ein, allein bei Transferprozessen. Die Risikosicherung steht aber im Vordergrund der Arbeit. Ich bin nicht davon überzeugt, dass man für sportlichen Erfolg große finanzielle Risiken eingehen muss. Voraussetzungen sind der Faktor Zeit und ein klarer Plan. Bestes Beispiel ist Darmstadt 98. Der Verein stieg in die 1. Bundesliga auf und hatte anfänglich Strukturen auf dem Niveau eines Regionalligisten. Der Wille und der Glaube, etwas erreichen zu können, standen aber auch dort im Vordergrund. Bei einer sportlichen und finanziellen Entwicklung wie beim 1. FC Magdeburg ist die infrastrukturelle Entwicklung ebenfalls ein nicht zu vernachlässigender strategischer Punkt. Wir sind jetzt in der 3. Liga und wollen perspektivisch in der 2. Bundesliga spielen. Dafür müssen wir heute schon Entscheidungen treffen und müssen unternehmerisch denken, handeln und abgewogene, vertretbare Risiken eingehen.

Mit der Infrastruktur meinen Sie das Stadion? Die Stadt hat ja den Ausbau auf 30 000 Plätze beschlossen.
Ja, das stimmt. Die Stadt Magdeburg steht vollends hinter dem Verein und begleitet unseren Weg. Das ist ein besonderer, positiver Aspekt, da nicht überall selbstverständlich. Konkret wurde die große Variante des Stadionumbaus beschlossen. Bis Juli 2018 soll der Gästebereich uneingeschränkt nutzbar sein. Im Heimbereich soll die Nordkurve zu einer Stehtribüne ausgebaut werden, wo dann statt 5000 rund 10 000 Fans Platz finden. Zudem haben wir als Verein unser Interesse angemeldet, gleichzeitig den Warmbereich des Stadions auszubauen und zu modernisieren, also die Kabinen-, Medien-, Business- und VIP-Bereiche. Das wäre ein sehr wichtiger und bedeutungsvoller Schritt für die infrastrukturelle Weiterentwicklung des Vereins. Ein Umbau ohne die Erweiterung der Warmbereiche wäre fahrlässig und zu kurz gedacht. Diese Investitionen müssen aus unserer Sicht jetzt erfolgen.

Sind diese Investitionen im Beschluss der Stadt schon enthalten?
Aktuell befindet sich der Prozess in der Planungsphase. Allerdings wurden unsere Hinweise aufgenommen. Hoffentlich werden sie auch umgesetzt.

Wie sieht die Finanzierung aus?
Laut ersten Schätzungen des Stadioneigentümers belaufen sich die Umbaukosten auf neun bis zehn Millionen Euro. Wir als Verein sind Mieter, haben aber dennoch zugesagt, uns im angemessenen Verhältnis beteiligen zu wollen.

Der DFB hat mit »bwin« endlich einen Ligasponsor gefunden. Wie sehen Sie den Einstieg eines Wettanbieters in Zeiten von Manipulation und Korruption?
Insgesamt werte ich den Einstieg von Großunternehmen wie Telekom, bwin oder Adidas als sehr positiv für die 3. Liga. Der DFB ist ein großer Verband und stellt sich eindeutig und massiv gegen Korruption und Manipulation. Entsprechend wird man sich in Frankfurt bei der Entscheidung zur Zusammenarbeit mit bwin vorab intensiv Gedanken gemacht haben.

Der ganz große Fußball hat mit dem Transfer von Neymar für 222 Millionen Euro auch ein Zeichen gesetzt. Wie nimmt man das als Drittligist wahr? Und welche Auswirkungen hat das nach unten?
Der zunehmende Geldfluss in der 1. und 2. Bundesliga schlägt noch nicht wirklich in die 3. Liga durch. Dennoch muss die Entwicklung insbesondere ab 2018 intensiv beobachtet werden. Dann entfalten die neuen Fernsehverträge ihre Wirkung. Aktuell mussten Drittligisten den einen oder anderen Spieler nach England abgeben, aber insgesamt ist die 3. Liga weit von Transferprozessen mit großen Transfersummen entfernt. Es gibt kaum Vereine, die Ablösen für Spieler zahlen. Mir stellt sich die rein menschliche Frage: Was ist denn utopisch bei der Bezahlung für einen Fußballspieler? Heute werden 222 Millionen bezahlt statt wie noch vor einigen Jahren 50 Millionen? Für mich sind beide Beträge utopisch. Dennoch wird es bezahlt und ist somit realistisch. Ich nehme diese Summen nur noch zur Kenntnis, ohne jegliche Emotionen. Insbesondere international ist der Fußball in finanziellen Bereichen unterwegs, die für den Normalbürger außerhalb der Vorstellungskraft liegen. Spieler wie Neymar erscheinen für Fans dabei immer mehr wie Außerirdische.

Wie bewerten Sie das bundesweite Fanmotto »Krieg dem DFB« und das Gesprächsangebot von DFB-Präsident Reinhard Grindel?
Zuerst mal: Das Wort Krieg gehört nicht zum Fußball, ebenso Gewalt und der Einsatz von Pyrotechnik mit dem Ziel oder der Gefahr der Schädigung der Gesundheit von Menschen. Dieses Bekenntnis muss als Voraussetzung für künftige Gespräche von allen Parteien einheitlich getragen werden, bevor man miteinander über Veränderungen bzw. Erhalt von Fankultur reden will. Sicherlich kann man über viele Dinge diskutieren, zum Beispiel die Einführung eines transparenten Strafsystems und einiges mehr. Verbände und Vereine sollten sich dem Dialog mit Fans, insbesondere den Ultras, nicht entziehen. Es ist wichtig, ihre Wünsche weiterhin ernst zu nehmen. Die geltenden Gesetze und Regeln sind jedoch einzuhalten. Man kann nicht Veränderung herbeiführen wollen, indem man diese Leitplanken permanent negiert und übertritt. Bilder wie aus Rostock sind leider der traurige Beleg dafür, dass dieses Verständnis nicht allseits vorhanden ist. Von daher werte ich den Vorstoß von Herrn Grindel, mit der vorübergehenden Aussetzung der Kollektivstrafen, als ein klares Zeichen, den offenen und konstruktiven Dialog mit Fans eingehen zu wollen und angemessenen Veränderungswünschen positiv gegenüberzustehen.

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