Gefährlicher Raketen-Poker

Der Streit zwischen Russland und USA um den INF-Abrüstungsvertrag droht zu eskalieren

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Hinweis von Martin Schulz, dass es letztlich darum gehen müsse, Atomwaffen auch aus Deutschland zu beseitigen, sei schon richtig. Sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Dienstagabend (Ortszeit) zum Abschluss seiner USA-Reise. Nachdrückliche Unterstützung für eine wichtige Wahlkampfforderung seines Genossen und Kanzlerkandidaten sieht wahrlich anders aus. Ob es beim Treffen mit seinem Washingtoner Amtskollegen Rex Tillerson auch um den überfälligen Abzug der vermuteten 20 US-amerikanischen Atomwaffen auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel ging, verriet Gabriel nicht. Aber natürlich sei er der Überzeugung, dass endlich erneut über Rüstungskontrolle und Abrüstung gesprochen werden müsse. Dabei verwies der Außenminister auf die Gefahr einer neuen nuklearen Rüstungsspirale und einen Atomwaffentyp, der auch mit dem jüngsten nordkoreanischen Raketentest wieder stärker ins Bewusstsein gerückt ist - nukleare Mittelstreckenraketen.

Der Flugkörper, der jetzt »auf der vorgesehenen Flugbahn« die Halbinsel Oshima und Kap Erimo auf der nordjapanischen Insel Hokkaido überquert habe und »akkurat« am vorgesehenen Ziel im Pazifik gelandet sei, wie es die amtliche Nachrichtenagentur KCNA formulierte, war eine Mittelstreckenrakete vom Typ Hwasong-12, die 2700 Kilometer zurückgelegt hat. Anfang des Monats hatte Pjöngjang im Streit mit US-Präsident Donald Trump damit gedroht, vier solcher Raketen in Richtung der 3500 Kilometer entfernten Pazifikinsel Guam zu feuern, wo sie nach genau 17 Minuten und 45 Sekunden Flugzeit rund 30 bis 40 Kilometer vor dem Militärstützpunkt im Meer aufschlagen würden; das wäre gerade noch außerhalb der Hoheitsgewässer um das US-Außenterritorium. Die mögliche Reichweite einer Hwasong-12 schätzen Experten auf 5000 Kilometer.

Gabriel hat mit seiner Warnung aber nicht nur Nordkorea im Blick. Mittelstreckenraketen sind vor allem ein amerikanisch-russisches Problem. Vor 30 Jahren unterzeichneten der damalige US-Präsident Ronald Ronald Reagan und KPdSU-Generalsekretär Michael Gorbatschow im Weißen Haus den INF-Vertrag. INF ist das Akronym für Intermediate Range Nuclear Forces, zu deutsch nukleare Mittelstreckensysteme. Bei dem bilateralen Abkommen, das am 1. Juni 1988 in Kraft trat, geht es um die überprüfbare Vernichtung aller landgestützten Flugkörper kürzerer (500-1000 km) und mittlerer Reichweite ((1000-5500 km) sowie deren Produktionsverbot zwischen der Sowjetunion und den USA - wenn man so will, eine »doppelte Nulllösung«. Moskau verschrottete 1846 dieser Systeme, Washington 846.

Diese Schlagseite ergibt sich, weil die USA in ihrer nuklearen Triade traditionell stärker auf Atom-U-Boote und Langstreckenbomber bauen, also see- und luftgestützte Systeme. Das hat in Russland späterhin immer wieder für Unmut gesorgt. Als dann auch noch andere Länder gerade solche Trägersysteme entwickelten oder ihre Zahl wie China massiv aufstockten, wuchsen in der vergangenen Dekade die Zweifel in Moskau, weil man sich im Unterschied zu den USA mit neuen Gefahren konfrontiert sieht. Hinzu kamen Vorwürfe aus Washington, der Vertragspartner selbst verstoße gegen die INF-Bestimmungen.

In diesem Frühjahr dann behauptete General Paul Selva, Vize-Chef des Generalstabs, in einer parlamentarischen Anhörung, dass Moskau mit der Stationierung landgestützter nuklearwaffenfähiger Marschflugkörper des Typs SSC-8 begonnen habe. Sie sollen über eine verbotene Reichweite von mehr als 500 Kilometer verfügen. In einer Gesetzesvorlage fordert der Kongress in Washington militärische Gegenmaßnahmen. Moskau weist derartige Anklagen als haltlos zurück und kontert seinerseits mit dem Vorwurf an die NATO, der Nordatlantik-Pakt verletze den INF-Vertrag vor allem mit den Raketenabwehranlagen in Rumänien.

Das wiederum bestreiten die USA. Doch im Pentagon-Etat für 2018 wurden Mittel für die Entwicklung eines ebenfalls landgestützten, mobilen, atomwaffenfähigen Marschflugkörpers bewilligt, der nach Einschätzung unabhängiger Experten vom INF-Vertrag verboten wäre. Zugleich mehren sich in den USA Stimmen, die einen Rückzug aus Vereinbarungen zur Begrenzung strategischer Nuklearwaffen verlangen. Hinter alldem steckt nicht zuletzt Parteienkalkül in der innenpolitischen Auseinandersetzung um Präsident Donald Trump und sein Verhältnis zu Russland. Eine Verletzung des INF-Vertrags aber, da ist sich Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik sicher, würde die Rüstungskontrolle dramatisch zurückwerfen, ein neues Wettrüsten verursachen und hätte weitreichende Folgen für die Sicherheit in ganz Europa.

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