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Treibstoff für den alten Motor

Barbara Thalheim feiert ihren 70. mit vielen Gästen auf zwei Sonderkonzerten

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen Grund zum Feiern habe sie in ihren Geburtstagen zeitlebens nicht erkennen können, sagt Barbara Thalheim salopp. Warum auch? »Ich habe meine Geburt ja nicht ursächlich herbeigeführt, das waren meine Eltern.« Auch dass es ihr heute, wenige Tage bevor sie 70 wird, nach allen gesundheitlichen Rückschlägen wieder so gut geht, führt die Chansonnière vornehmlich auf die Gene ihrer Erzeuger zurück. Ihr Vater, ein Kommunist, der das KZ Dachau überlebte, sei sehr alt geworden. Ein Grund für die bevorstehenden Sonderkonzerte in ihrer Geburtsstadt Leipzig und in ihrem Wohnort Berlin sei das runde Jubiläum am kommenden Dienstag also nicht, wohl aber ein Anlass. Gefeiert werde, »dass ich mit 70 noch halbwegs alle Tassen im Schrank habe«.

Dass man sich zum Geburtstag Gäste einlädt, weiß die unangepasste Sängerin natürlich, auch ohne je einen großartig gefeiert zu haben. Bei der Zusammenstellung der Gästeliste habe sie allerdings Wert darauf gelegt, nicht die »üblichen Verdächtigen aus der Liedermacherszene« mit auf die Bühne zu bitten, sondern überwiegend jüngere Künstler anderer Genres, deren Musik ihr über die Jahre zum »Lebensmittel« geworden sei. Kollegen, die »nur im eigenen Saft schmoren« und sich für den Nachwuchs nicht interessieren, könne sie nicht verstehen. Wie schon bei ihrem letzten Bühnenprogramm »Alt-Tag«, zu dem befreundete Filmemacher kurze Arbeiten beisteuerten, oder bei den gemeinsamen Auftritten mit dem halb so alten Rockpoeten Christian Haase setzt sie auch diesmal auf die Grenzüberschreitung: die Begegnung als Treibstoff für den eigenen Motor, der nicht muckern soll noch Rost ansetzen. Was die beteiligten Künstler verbindet, ist also kein bestimmter Stil, es ist vielmehr eine Stimmung, die sich dadurch auszeichnet, dass die Bewegung über den Stillstand triumphiert, der Witz über den Schwermut, die Lust über den Verdruss.

Aber auch dies ist nicht zu übersehen: Die Lebenslinien einiger Gäste überschneiden sich mit der mehrfach gekrümmten Geraden, die Thalheims Biografie beschreibt. So war die Sopranistin Alexandra Lachmann, mit der die Jubilarin einen Bogen zum klassischen Gesang schlagen will, schon als Säugling dabei, wenn ihre Mutter mit Thalheim beim Jugendradio DT64 an Manuskripten für eine Chanson-Sendereihe arbeitete. Die erst 13-jährige Gastmusikerin Livia Paté ist nicht nur Schülerin des Bratschisten aus Thalheims Streichquartettzeit, ihre Mutter Christine war auch die erste Akkordeonschülerin von Jean Pacalet (1951-2011), Thalheims geliebtem musikalischen Partner. Über ihre »zweite Heimat Frankreich« ist zudem der Kontakt zu Pigor & Eichhorn erwachsen, jenem für die Gastgeberin »unerreichten« Autorenduo im neuen deutschsprachigen Chanson. Auf welche Weise sich die biografischen Bezüge zu ihren Mitstreitern, zu denen auch Michèle Bernard, Martin Buchholz und Marco Tschirpke gehören, jeweils herstellen, will die Sängerin in kurzen Zwischenmoderationen erklären.

Natürlich fehlt auch Thalheims Band nicht auf der Bühne, und selbstredend ist im Programm auch ausreichend Platz für eigene Lieder, darunter brandneue, aber auch ältere, die ihr besonders wichtig sind. Im absichtlich falsch geschriebenen Konzertmotto »voll jährig« schwingt die Last der Zeit wie das Gewicht von Steinen, die man in einem Rucksack trägt. Zugleich postuliert der Titel das kokette Eingeständnis, endlich der Rolle des schwer erziehbaren Kindes entwachsen zu sein. »Meine Eltern«, raunt Thalheim, »hatten es wahrlich nicht leicht mit mir«.

Launige Geschichten aus dem bewegten Leben der Sängerin, als dessen Dreh- und Angelpunkt man die Zeitenwende von 1989/90 ansehen darf, sind bereits am Sonntag im Gespräch mit Gregor Gysi zu erwarten. Der nebenberufliche Talkmaster empfängt die dann noch zwei Tage lang 69-Jährige im Berliner Kabarett-Theater »Distel«. Der Titel der Veranstaltungsreihe verspricht gewiss nicht zu viel: »Missverstehen Sie mich richtig!«

Barbara Thalheim im Gespräch mit Gregor Gysi, 3. September, 14 Uhr, in der »Distel«, Friedrichstraße 101,

Berlin. Sonderkonzerte am 5. September,

20 Uhr, im »Studio 3«, Media City Leipzig, Altenburger Str. 15, und am

8. September, 20 Uhr, im Columbiatheater Berlin, Columbiadamm 9-11

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