Die verlorene Ehre der Erika S.

Die frühere Vertriebenenchefin und CDU-Politikerin macht nun persönlich Wahlkampf für die AfD

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer wissen will, wo Erika Steinbach steht, muss ihre Twitter-Seite aufrufen. Dort verbreitet sie seit geraumer Zeit eine Dauerserie rechter Provokationen. Aktuell etwa einen Text, in dem es um »votebuddy« geht: Die Plattform vermittelt angeblich Nichtwähler an nicht Wahlberechtigte: Erstere sollen den Letzteren ihre Briefwahlscheine überlassen - vielleicht diskutabel, aber sicher illegal. Indes ist die Seite womöglich gar nicht echt. Die präsentierten Bilder von Nutzern stammen offenbar von einer Fotodatenbank. Die »Berliner Morgenpost« erinnert daran, dass es bei den US-Wahlen anno 2000 ein ähnliches Angebot gab, das sich dann als Fälschung entpuppte.

Steinbach aber zeigt keine Zweifel: »Was tut die Bundesregierung, um das zu verhindern?« So versieht sie den Text des einschlägigen rechten Bloggers David Berger mit der Autorität einer fernsehbekannten Politikerin. Und erweitert seine Reichweite um 50 000 Leser, so viele »Follower« weist ihr Profil aus.

Ob Steinbach diesen vermeintlichen Wahlbetrug am deutschen Volke zum Thema machte, als sie am Dienstagabend in Pforzheim mit der halben AfD-Spitze auftrat, um erstmals leiblich für diese zu werben, war zu Redaktionsschluss nicht abzusehen. Dass sie sich aber ohne Prüfung zur Multiplikatorin eines solchen Textes machte, illustriert, wie Radikalisierung funktioniert - nicht nur im Fall Steinbach.

Wie also ist sie nach einem Leben für und von der Union bei der AfD gelandet? Medium von Radikalisierung ist ein Weltbild, das grob genug sein muss, um Irritationen auszuschließen. Zugleich muss es aber auch offen genug sein, um stets neue Facetten aufnehmen zu können, die dann wiederum die Grundlinien noch einmal nachzeichnen. Soziale Medien mit ihren Meinungsblasen sind quasi eine Materialisierung dieses Effektes. So kann man Steinbach ein Onlineopfer nennen. Ihr Twitterprofil hat sie 2011 eröffnet - in etwa zu dem Zeitpunkt, als ihr Weg nach ganz rechts begann.

Bleibt die Frage nach dem Ausgangspunkt. In einer Annonce warb sie vor drei Wochen für die AfD und nannte konkret den Atomausstieg von 2011, die sogenannte Eurorettung und die Flüchtlingspolitik. Was hier anklingt, ist die übliche Rechtfertigung einst gutbürgerlicher neuer Rechtsradikaler: Sie seien nur »normal« geblieben, während alle anderen abdrehten. Zumindest bei Steinbach stimmt das aber nicht. Nicht mit Energie- oder Europapolitik und auch nicht mit der Fluchtmigration des Jahres 2015 begann ihr Rechtsruck, sondern mit dem traditionell harten Thema der Rechten: Geschichte.

Rekonstruiert man ihren Weg nach rechts, stößt man unweigerlich auf die Vertriebenenstiftung, die derzeit in Berlin ihr Museum baut. Diese ist zugleich Steinbachs großer Sieg und ihre größte Kränkung. Bei deren Gründung durch Bundestagsbeschluss im Jahr 2000 triumphierte sie noch - frisch an der Spitze des Vertriebenenverbandes. Doch in der Folge fühlte sie sich zunehmend gedemütigt und entehrt. Es wurde klar, dass ein solches Museum nicht bruchlos das Verbandsnarrativ transportieren konnte, sondern akademische Standards halten musste. Jahrelang trat ihr Lieblingsprojekt auf der Stelle, weil Historiker darauf pochten. In Fahrt kam es erst, nachdem sie 2010 auf einen Leitungssitz verzichtete. Das hat Steinbach nicht verkraftet. Fast zeitgleich begann ihre Provokationskarriere - vorerst noch offline - mit der These, Polen habe 1939 zuerst mobilisiert. 2012 twitterte sie, die NSDAP sei »links« gewesen, es folgte ein Skandal. Dann gab es kein Halten mehr, auch auf anderen Feldern. Mit jenem berüchtigten Twitter-Post von 2016, in dem »Deutschland 2030« in einem blonden Kind symbolisiert ist, das von erstaunten Südländern inspiziert wird, ist die heutige Steinbach gebacken.

Ihre Karriere ist bezeichnend für den jüngsten Umschwung der Rechten. Steinbach war einmal eine typische Vertreterin jenes Mäßigungskonservatismus der alten BRD, der das Neue so lange skeptisch verdünnte, bis er es sich einverleibte. So hatte sie 1991 gegen die Oder-Neiße-Grenze votiert, dem Nachbarschaftsvertrag mit Polen aber zugestimmt.

Heute wirkt diese Haltung antiquiert, auch die AfD verteidigt sie nicht. Sie steht im Gegenteil für einen ganz anderen, einen wütenden Geist, der nicht anpassend bewahren will, sondern umstürzend zurückerneuern. Die Paradoxie der konservativen Revolution ist wieder da. Man sollte wissen, wie gefährlich sie ist.

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