Bloß nichts vermasseln

Chris Froome fährt in Spanien mit letzter Kraft, dennoch soll es zum ersten Gesamtsieg bei der Vuelta reichen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor allem der scheidende Alberto Contador macht dem Tourgesamtsieger Christopher Froome auf der Vuelta das Leben schwer. Der Brite wirkt angreifbar.

Von Tom Mustroph, Gijón

Die Vuelta á España ist noch einmal spannend geworden. Gut, Chris Froome trägt seit dem Abend der dritten Etappe das Rote Trikot des Gesamtführenden. Er hat auch ein sehr starkes Team um sich. Der mögliche Vueltasieg, es wäre sein erster, kann dem Briten aber erneut durch die Finger rutschen: »Es ist für mich offenbar schwerer, die Vuelta zu gewinnen als die Tour. In Frankreich habe ich vier Mal gewonnen, in Spanien noch kein einziges Mal. Und auch jetzt wird es schwer.«

Drei Dinge setzen ihm zu: Seine nach dem Spitzenwert bei der dritten Tourwoche wieder abflachende Formkurve, ein unberechenbarer Gipfel wie der Angliru, der am Sonnabend die Entscheidung bringen wird, und ein unberechenbarer Alberto Contador. Der Spanier hat zwar selbst nur noch äußerst geringe Aussichten auf den obersten Podestplatz. Aber seine fortwährenden Attacken machen das Rennen schnell. Als »pure Pyrotechnik« und »echtes Dynamit« feiern spanische Medien die Angriffsserien ihres Lokalhelden bei dessen Abschiedstour.

Eine Attacke von Contador hatte Team Sky schon im vergangenen Jahr die Vuelta vermasselt und den Weg frei gemacht für den Gesamtsieger Nairo Quintana. Profiteur im Jahr 2017 ist Vincenzo Nibali. Der Italiener holte, nachdem Contador die Favoritengruppe mit einem mächtigen Antritt kurz durchgeschüttelt hatte, auf dem Altos de Los Machucos 42 Sekunden auf Froome heraus. Der Brite wirkte da angeschlagen, konnte nicht einmal dem Tempo seiner Helfer folgen und musste sie um Drosselung bitten. »Das war ein Berg, an dem ein Team nicht so viel helfen kann. Er ist sehr unrhythmisch zu fahren. Es zählt mehr der Kampf Mann gegen Mann«, charakterisierte Paolo Slongo, Trainer von Nibali, den Anstieg. Und er fügte lachend hinzu: »Der Angliru ist ähnlich, nur viel, viel länger.«

Die Hoffnung, Froome hier zu bezwingen, besteht noch im Lager von Team Bahrain. Die Mannen rings um Nibali strotzen zwar nicht vor Überzeugung, dass der Coup gelingen kann. Aber sie haben realistische Aussichten. Interessanterweise geht es dabei mal nicht darum, den Kapitän Froome von seinen Helfern zu isolieren. Nein, er kann ruhig von allen Sky-Fahrern umgeben sein: Sie können ihm nicht helfen: Wegen des immerwährenden Auf und Ab können sie kein kontinuierliches Tempo fahren.

Im Sky-Lager ist man sich der Gefahren bewusst. »Der Angliru ist ein tückischer Berg. Es kommt nicht unbedingt darauf an, wie gut deine Beine sind. Du musst dir hingegen das Rennen sehr gut einteilen. Jeder Fehler, den du da machst, kann mit Minuten bestraft werden«, sagte Nicolas Portal, sportlicher Leiter von Sky, gegenüber »nd«.

Das Projekt Krafteinteilung dürfte zusätzlich von Contador erschwert werden. Der Spanier kämpft bei seiner letzten Vuelta noch um seinen Platz in der Geschichte des Radsports. Gern würde er seine Laufbahn mit einem Sieg auf diesem Gipfel krönen. 2008, in den Jahren seiner absoluten Dominanz im Radsport, gewann er hier. Er weiß also, wie der Gipfel zu bezwingen ist.

Noch wichtiger als ein Sieg ist ihm in diesem Abschiedsjahr aber die Show: Attacken also, die auch dann auf Youtube bestaunt werden, wenn er in seiner Stammkneipe »Los Trazos« in Pinto längst mit den Kumpels ein paar Bier zischt und sich nicht darum scheren muss, am nächsten Morgen zum Training aufzubrechen.

Was Froome aber wohl am meisten zu schaffen macht, mehr als das Profil des Berges, mehr als der unberechenbare Contador, ist sein eigener Körper. »Ich habe meinen Formhöhepunkt in diesem Jahr etwas weiter nach hinten gelegt, um das Projekt Double möglich zu machen«, meinte der Brite. Das erklärt, warum er bei der Tour de France am Anfang angreifbar wirkte und erst in der letzten Woche zur alten Souveränität fand.

Es erklärt auch, warum er die Vuelta so stark begann, eben seit dem dritten Tag in Rot fährt. »Aber ich glaube, er hätte dort am Anfang gern noch mehr Vorsprung herausgefahren. Jetzt macht sich bemerkbar, dass er die Tour in den Beinen hat«, schildert Nibali-Betreuer Slongo seine Beobachtungen. »Fahrer wie Nibali oder Zakarin, die den Giro fuhren und dann eine Pause machten, sollten am Ende frischer sein. Das sagt die Theorie. Und wir sehen es auch schon jetzt auf der Straße.«

Froome weiß das natürlich auch. Er fährt gegen die schwindenden Kräfte seines Körpers. Ein faszinierendes Finale kündigt sich an.

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