Trommeln, Tanzen, Ausverkauf

Stadtpolitische Proteste zeigen, dass Rot-Rot-Grün dabei ist, Vertrauen zu verspielen

  • Felix von Rautenberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin wird immer teurer. Auf die Frage hin, wem dann die Stadt gehört, antwortete die LINKE im Wahlkampf mit dem Slogan: »Und die Stadt gehört euch!« Das war vor einem Jahr im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl. Am Samstag warf der Pankower Bezirksverband die Frage »Wem gehört die Stadt?« erneut auf: Laute Bässe und Techno waren die Antwort. Bei der von der Linkspartei, verschiedenen Clubs und der »Clubcommision« organisierten »Musikdemo« tanzten die jungen Demonstranten ausgelassen von Prenzlauer Berg über Mitte bis Kreuzberg. Bässe gegen den Ausverkauf der Clubkultur und der damit einhergehenden Verdrängung sozusagen. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl ist das natürlich irgendwie auch Wahlkampf.

Dass die Stadt weiter denen gehört, die dafür am meisten bezahlen, stand für die Teilnehmer einer weiteren »Wem-gehört-die-Stadt-Demonstration« fest. An der von außerparlamentarischen Gruppen und Initiativen organisierten Manifestation von Kreuzberg nach Neukölln nahmen am Samstag etwa 800 Menschen teil. Hier wurde mit Trommelschlägen gegen Zwangsräumungen gewirbelt. Organisiert worden war die Demonstration unter anderem von Initiativen wie »Zwangsräumung verhindern« oder »Stadt von Unten«.

»Eine Zwangsräumung verdrängt den Betroffenen aus seinem Umfeld, schickt ihn in die Obdachlosigkeit und kann im schlimmsten Fall tödlich enden«, sagt David Schuster von der Initiative »Zwangsräumung verhindern« dem »nd«. Nach Informationen des Berliner Mietervereins werden werktags rund 20 Berliner Wohnungen zwangsgeräumt. Den Veranstaltern zufolge, zu denen auch das von der Schließung bedrohte Jugendzentrum »POTSE«, das Projekt »LAUSE« und der jüngst unter Polizeigewalt geräumte Kiezladen »Friedel54« gehören, seien Zwangsräumungen auch unter der rot-rot-grünen Regierung weiter alltägliche Praxis. »Der Protest muss deshalb außerparlamentarisch auf der Straße stattfinden, damit sich überhaupt etwas bewegt und das Ganze so zum Thema der aktiven Politik wird«, sagt Schuster. Er kritisiert Rot-Rot-Grün dafür, dass sich diese Parteien im Wahlkampf als Gentrifizierungsgegner inszeniert haben, das Thema danach aber an Bedeutung verloren habe.

Das sieht auch Fabian Hefter, der auf der Demonstration mitläuft, so: »Gut, dass hier heute niemand mit seinen Wahlmaterialien umherläuft«, sagt er. Die Politik mache zu wenig für den sozialen Wohnungsbau. »Das beste Beispiel dafür sei die Cuvry-Brache am Schlesischen Tor. Warum verkauft man das Gelände an Zalando anstatt dort Sozialwohnungen zu errichten?«, fragt Hefter. Während die Demonstration am geräumten Laden in der Friedelstraße 54 entlangläuft, erinnert Hefter an die Rentnerin Rosemarie F., die 2014 nach einer Zwangsräumung verstarb. Die Demonstration endet gegen 22 Uhr im Neuköllner Reutherkiez. Nach Angaben der Polizei verlief der Aufzug friedlich.

Währenddessen gleicht der parallele Menschenzug auf der Schönhauser Allee mehr einer Loveparade als einer Demonstration. Um 15 Uhr sammelten sich die etwa 700 Teilnehmer am U-Bahnhof Eberswalder Straße, um schließlich im Tanzschritt hinter den drei Wagen herzulaufen, auf denen sich die DJs befinden. Dass die Musik ist vor den Wagen so laut ist, dass Diskussionen fast unmöglich sind, scheint die Teilnehmer nicht zu stören. »Es ist schon irgendwo lustig, dass das hier eine Demo ist. Ich glaube, dass ein Großteil der Leute nur zum Tanzen hier ist«, sagt Silvio Reppschläger, einer der Teilnehmer der Parade. Trotzdem sei die Demonstration als erster positiver Schritt zu sehen, »unterschiedlichste Menschen zu vernetzen und für das Thema zu sensibilisieren, die sich sonst eigentlich nie begegnen« würden. Auf die Frage hin, ob er die »Musikdemo« als Wahlkampfmanöver der Linkspartei sieht, muss der Demonstrant lachen. Die Antwort geht im Takt der Bässe unter.

»Wir haben die Demonstrationsroute bewusst vom Prenzlauer Berg zum Kreuzberger Moritzplatz gelegt: Wir wollten bewusst vom am meisten von der Gentrifizierung betroffenen Bezirk in eine Siedlung laufen, in der der soziale Wohnungsbau versagt«, sagt der Veranstalter Maximilian Schirmer (LINKE) dem »nd«. Aus seiner Sicht ist die Veranstaltung weniger wahlkampfpolitischer Natur als vielmehr ein Protest gegen schwindende Räume städtischer Großstadtkultur. »Clubs und Festivals und den Künstlerkollektiven fehlt es zunehmend an Raum«, sagt Schirmer. Deswegen habe man beschlossen, eine Demonstration zu organisieren. Laut Schirmer stünden die Veranstalter mit der anderen stadtpolitischen Demonstration in Kreuzberg in Kontakt. »Wir agieren ja schließlich im gleichen Interesse«, so der Mitorganisator der Musikparade.

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