Brandenburgs Linke demontiert sich vor aller Augen

Streit um den zurückgetretenen Landesvorsitzenden Sebastian Walter setzt sich fort

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Linke steht nicht mehr geschlossen hinter ihm: Sebastian Walter im Landtagswahlkampf 2024.
Die Linke steht nicht mehr geschlossen hinter ihm: Sebastian Walter im Landtagswahlkampf 2024.

Eigentlich hieß es noch einen Tag zuvor aus der Brandenburger Linken, dass die Streitigkeiten mit dem am Mittwoch zurückgetretenen Landesvorsitzenden Sebastian Walter nicht in aller Öffentlichkeit ausgetragen werden sollen. Dennoch gab Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg am Freitag eine Erklärung ab.

»Die Klärung teils auch presseöffentlich verbreiteter Vorwürfe war und ist Gegenstand innerparteilicher – und zum Schutz der Betroffenen – vertraulicher Prozesse«, heißt es darin. »Die Vertrauensgruppe der Bundespartei hat dem Landesvorstand Handlungsempfehlungen übermittelt. Deren Umsetzung hat der Landesvorstand einstimmig beschlossen.« Ein Teil der Empfehlungen sei durch den Rücktritt von Walter bereits umgesetzt. Und weiter: »Bestehende finanzielle Verbindlichkeiten werden im Rahmen einer Ratenzahlungsvereinbarung ausgeglichen.«

Vertrauensgruppen sind dazu da, Betroffene von Übergriffen, Machtmissbrauch oder Diskriminierung in der Partei zur Seite stehen. Es gibt sie auf Bundes- und Landesebene.

Sebastian Walter war von 2019 bis 2024 Linksfraktionschef im Landtag. Vorgeworfen wurde ihm jetzt, dass er Mietschulden für sein Wahlkreisbüro in Eberswalde habe und seine Mandatsträgerbeiträge an die Partei nicht stets vollständig abgeführte. Außerdem wird dem 35-Jährigen ein unangemessener Umgang mit Genossinnen vorgehalten. Damit dies nicht missverstanden wird: Es gibt keinerlei Hinweise auf sexuelle Belästigung. Auch die Schriftstellerin Sophie Sumburane wirft ihm nicht etwa das vor. Sie kreidet ihm stattdessen an, wie er mit ihr und anderen umgesprungen sei, als sie vor drei Jahren eine Weile für die Linksfraktion im Landtag arbeitete. Ihr wurde dann aber gekündigt. Er sei der Grund, warum sie sich aus dem Landesvorstand zurückgezogen habe und auch aus der Partei ausgetreten sei. So schildert es Sumburane.

»Unsere Partei steht unmissverständlich für einen diskriminierungsfreien, geschlechtergerechten, ehrlichen und wertschätzenden Umgang untereinander und in der Gesellschaft insgesamt«, behauptet Landesgeschäftsführer Wollenberg. »Diesem Anspruch stellen wir uns als lernende Organisation«, fügt er allerdings hinzu. Damit räumt Wollenberg indirekt ein, dass diese Prinzipien in der Praxis immer wieder verletzt werden. Wollenberg erklärt außerdem, dass mit der Übernahme von politischer Verantwortung »Anstand, Haltung und Ehrlichkeit« einher gehen müssten.

»Ich habe keine Macht missbraucht. Ich habe meine Ämter nie genutzt, um mich zu bereichern«, reagierte Walter am Freitag. Er habe all die Jahre mit ganzem Herzen für die Partei und für soziale Gerechtigkeit gekämpft. »Mir ist wichtig, dass mein Rücktritt nicht zur Projektionsfläche für Gerüchte, persönliche Konflikte oder innerparteiliche Auseinandersetzungen wird«, erklärte der 35-Jährige. »Ich habe mich aus persönlichen, gesundheitlichen und familiären Gründen entschieden, mein Amt niederzulegen und Abstand zu gewinnen. Diese Entscheidung bleibt bestehen und ich bitte darum, sie zu respektieren. Ich brauche Zeit für meine Familie und mich.«

Es seien schwere Vorwürfe gegen ihn laut geworden, die ihn tief treffen. Zum Teil habe er erst durch Gerüchte und aus der Presse von den Anschuldigungen erfahren. »Sie entbehren aus meiner Sicht jeder Grundlage. Und selbst wenn nicht, haben sie unter keinen Umständen etwas in der Öffentlichkeit zu suchen.« Er sei zurückgetreten, damit der Landesverband keinen Schaden nimmt. »Umso mehr schmerzt es mich, dass mein Rücktritt nun von einigen genutzt wird, um neue Konflikte zu eröffnen oder alte zu vertiefen. Das war nie meine Absicht und ich wünsche mir von Herzen, dass wir diesen Weg nicht weitergehen.« Alles, was es sachlich zu klären gebe, werde er selbstverständlich klären, und er stehe für Rückfragen zur Verfügung, sicherte Walter zu.

Warum ein länger schwelendes Problem jetzt plötzlich ganz schnell geklärt werden sollte? Es sprechen einige Indizien dafür, dass für den Fall der Fälle vor möglichen Neuwahlen reiner Tisch gemacht werden sollte. Regulär stünden Landtagswahlen in Brandenburg erst wieder 2029 an. Doch die Koalition aus SPD und BSW macht eine Krise nach der anderen durch. Einen neuen Landesvorsitzenden braucht Brandenburgs Linke vorerst nicht unbedingt. Es gab bis Mittwoch eine Doppelspitze. Die Landesvorsitzende Katharina Slanina ist noch bis Ende 2026 gewählt und kann den Landesverband auch allein führen.

»Mir ist wichtig, dass mein Rücktritt nicht zur Projektionsfläche für Gerüchte, persönliche Konflikte oder innerparteiliche Auseinandersetzungen wird.«

Sebastian Walter Ex-Landesvorsitzender

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