Das Auge schaut klar, ohne Bitternis

Wiederaufführung: »Rosa - trotz alledem« im Berliner Theater unterm Dach

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Programmzettel ist angenehm schlicht. DIN A 5, schwarze Schrift auf weißem Grund. Gut leserlich. Auf der Titelseite prangt das Porträtfoto der im geschichtlichen Zirkelschlag objektiv berühmtesten Frau Deutschlands, wenn nicht Europas - Rosa Luxemburg. Jeder einigermaßen Gebildete kennt ihren Namen, wenige nennen ihn heute, was der Änderung bedarf. Jenes von Zé de Paiva bearbeitete Foto ist merklich durchschnitten, die eine Kopfhälfte ist dunkler als die andere weiße und leicht gesprenkelt. Rosa trägt im Bild ein kariertes Tuch. Streng geschnitten sowohl die dunkle Frisur wie der Kragen und die Schulterteile der dunklen Jacke. Der Gesichtsausdruck ist ernst. Die Buchstaben ROSA sind groß auf das Foto aufgedruckt.

Was sagt dies Bild? Es sagt wie im Brennspiegel klar etwas über den Charakter von Stück und Inszenierung aus. Der Mensch Rosa steht darin im Mittelpunkt, ihr Leben mit all den Sorgen und Freuden drin. In kurzen Einblendungen rückt ihr privater wie politischer Umkreis in den Fokus, Revolutionäre wie sie, das herrschende System des Vor- und Nachkriegs, das sie bekämpft und es sie, Karl Marx, Karl Liebknecht, Versager der Sozialdemokratie, der Weltimperialismus, der Krieg, die russischen Revolutionen. In prägnanten Szenen ersteht das Bild einer Frau, welche sowenig vor dem Lebensalltag zurückschreckt wie vor der praktischen Politik, eine Marxistin, zugleich Feindin des Patriarchats, welche tief empfindet, Kunstwerke liebt, Schläge austeilt und empfängt, leidenschaftlich liebt, spielt, trinkt, aus der Haut fährt, schießt, nicht aufhört zu lernen, eine Frau, die kämpft und leidet, theoretisiert und lacht, für ihre Erzfeinde folglich eine hochgefährliche Person, die schließlich dafür mit ihrem Leben bezahlen muss. »Rosa - trotz alledem« destilliert aus all dem zwar nur Bruchteile heraus, aber die weisen auf eine ganze Welt.

Zweiter Blick auf das Foto. Die linke Kopfhälfte wirkt abgespannt, schwarz der Rand unterm Auge, Schimmer von Trauer spiegeln sich darin. Wogegen die weiße Kopfhälfte eine Art Glücksempfinden birgt. Das Auge schaut klar, ohne Bitternis. Der Blick, optimistisch, führt ins Weite, trotz alledem. Rosa, eine gespaltene Persönlichkeit?

Anja Panse, Schauspielerin und Regisseurin, brachte »Rosa - trotz alledem« in eigener Textfassung Ende Juni erstmals auf die kleine, unverdrossen wider die Zeitströme operierende Bühne des Theaters unterm Dach in Berlin am Thälmannpark, geleitet von Liesel Dechant. Drei leibhafte Akteure reißen ein individuell-gesellschaftliches Kompendium auf, das den heutigen Zuständen stark ähnelt. Zwei Schauspieler - Arne van Dorsten und Lutz Wessel - schlüpfen jäh maskiert und mit Puppen in der Hand in dutzende Rollen (Puppenbau Rodrigo Umseher, Ludwig Pauli). Darin eingebettet, ersteht Rosa - hellwach, leidenschaftlich Susanne Jansen in der abwechslungsreichen Rolle - von Szene zu Szene neu, mal zärtlich nach Liebe verlangend, mal agitatorisch unter der roten Fahne, mal erschüttert über Misserfolge der kämpfenden Arbeiterschaft. Mehrmals ist es geboten, zu singen. Sentimentale Songs kommen in retardierenden Atmosphären aus ihrem Munde, begleitet von Anegret Enderle an einem Klavier aus Omas Zeiten. Die echte Rosa Luxemburg wünschte sich manchmal eine Pistole, um mit dem Imperialismus fertig zu werden. Im Stück hat sie eine und droht und schießt wie auf dem Jahrmarkt damit.

Viele Verkleidungen braucht das Stück (Ausstattung Kathrin Krumbein). Denn Scharen von Personen zeichnet und überschreibt das maskierte, puppenbeschwerte Männerduo, und diese Personen müssen je kenntlich sein. Nichts folgt der Kontinuität des Dramas. Die Szenerie collagiert vielmehr Ereignisse und Konfliktlagen aus den Tagen der Protagonistin so, als wären es Tage jetzt. Dem feigen Mord an Karl und Rosa zu Beginn, aufs Knappste verbildlicht, folgt die Stimme Wilhelms II. aus dem Lautsprecher. Das Vaterland - August 1914 - sei in Gefahr. Im Folgenden arbeiten sich Rosa und Leo Jogiches, ihr zeitweiliger Gefährte, an Marx’ »Lohn, Preis und Profit« ab. Das muss die Bühne erst einmal hinkriegen: vergnügliches Lernen. Satirische Züge trägt das Modell einer Schießübung. Zwei Pickelhauben bringen dem Proletarier bei, wie die Nation zu verteidigen ist. Das Paar artikuliert vehement seine Antikriegshaltung und schimpft auf den Verrat der SPD-»Vaterlandskrieger«. Mit den vereinten Protestschreien von Karl und Rosa flimmern vom Bildschirm ähnlich klingende Redesequenzen der Sarah Wagenknecht.

Die Enttäuschung über den Verrat in den eigenen Reihen sitzt so tief, dass Rosa und Jogiches um die Wette eine Pulle Schnaps aussaufen. Der seinerseits kommt in Haft und kehrt zurück als verhärteter Revolutionär, dem jede Liebesbezeigung lästig ist. Ihre Hand sucht vergeblich die Seine. Sie, verbittert, kehrt sich erstaunlich rasch einem anderen Manne zu. Die Gefängnisurteile über Karl und Rosa fallen, beide sind unbeugsam. Allein in der Zelle ohne Mauern und Gitter, zitiert Rosa Verse und Briefzeilen. Der Satz über die Freiheit der Andersdenkenden fehlt nicht. Verpuppter Auftritt von Trotzki und Stalin, während die deutsche Revolutionärin Lenins Revolutionsstrategie kritisiert. Ruhe kehrt ein, als Rosa ihr inniges Verhältnis zu Meisen und Amseln beschreibt. Der Schluss greift auf den Mord des Anfangs zurück.

Was die Spannung der Anja-Panse-Inszenierung ausmacht? Jedes einzelne Glied der Szenenfolge steckt voller Nuancen. Neben den rationalen siedeln gleichermaßen die sinnlichen Momente. Viele junge Leute schauten zu und spendeten Beifall.

Nächste Vorstellungen am 14. und 15. September im Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg

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