Merkels stille Reserven

Grüne und FDP sind nach der Bundestagswahl offen für eine Koalition mit der Union

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Offiziell sind sich Grüne und FDP im Bundestagswahlkampf spinnefeind. In diesen Tagen lassen ihre Spitzenpolitiker keine Gelegenheit aus, um sich verbal von der jeweils anderen Partei abzugrenzen. Um ihre Positionen zu untermauern, haben Grüne und FDP für den Sonntag Bundesparteitage in Berlin einberufen. In ihrem Leitantrag warnt die Ökopartei explizit vor der FDP und einer möglichen schwarz-gelben Koalition nach der Wahl am 24. September. In diesem Fall werde Deutschland unter anderem seine Klimaschutzziele verpassen und der Verbrennungsmotor »unter Bestandsschutz« gestellt. Zudem drohten weiterhin Qualen für Millionen Tiere und »Verschlechterungen für Menschen, die vor Krieg und Vertreibung Schutz suchen«.

Die Spitzenkandidaten der Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, hatten jüngst betont, dass ihnen für eine Koalition mit Union und FDP die »Fantasie« fehle. Ausschließen wollen sie diese Option aber nicht. Denn Schwarz-Gelb-Grün wäre laut Umfragen die einzige Möglichkeit für die Ökopartei, an einer Regierung beteiligt zu werden. Ihre Wahlniederlage vor vier Jahren war parteiintern damit erklärt worden, dass man im Wahlkampf zu stark auf Rot-Grün fokussiert war. Nun wollen die Grünen eine realistische Machtperspektive haben.

Die Vorbereitungen für eine Zusammenarbeit mit der Union laufen schon seit einiger Zeit. Kürzlich harmonierten Özdemir und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einer ARD-Talksendung zu dem Thema »Wie viel Grün steckt in Schwarz?« prächtig miteinander. Özdemir war angetan von einem Artikel, der bei Spiegel Online zu der Debatte erschienen war. In dem Text hieß es: »Özdemir und Schäuble wären ein spannendes Duo, sollten sie eines Tages miteinander regieren«. Der Grünen-Chef verbreitete einen Auszug aus dem Artikel über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Es ist bekannt, dass Özdemir »Ökonomie und Ökologie zusammenbringen« will. Sein Ziel ist ein Kapitalismus mit grünem Anstrich. Für viele Unionspolitiker klingt das inzwischen annehmbar. Trotzdem würde es bei Koalitionsgesprächen mit Konservativen und Neoliberalen einige Punkte geben, die nicht leicht zu klären wären. Union und FDP wollen etwa keinen schnellen Ausstieg aus der Kohleenergie.

Dagegen sind sich Grüne und Freie Demokraten bei einem anderen Thema nähergekommen. Die FDP hat ein Zuwanderungsgesetz zur Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung erklärt. Das sagte Parteivize Wolfgang Kubicki kurz vor dem Sonderparteitag am Sonntag, wo die Freien Demokraten zehn Prüfsteine als Grundlage für mögliche Koalitionsgespräche beschließen wollen. Darunter dürften Steuersenkungen und die kürzlich von Parteichef Christian Lindner erhobene Forderung nach »straff organisierten Sicherheitsbehörden« sein.

Durch ein Zuwanderungsgesetz sollen nach dem Willen der FDP Fachkräfte nach Deutschland kommen. Auch »gut integrierte« Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge sollten eine Chance erhalten. Kürzlich hatte Lindner der »Berliner Zeitung« gesagt, dass er nicht sehe, »wie es mit den Grünen gelingen könnte, eine humanitäre, aber zugleich rationale Zuwanderungsstrategie umzusetzen«. Auch deswegen glaube er nicht mehr an ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen.

Auch die Grünen sind für ein Einwanderungsgesetz, aber Teile der Partei finden die von der FDP zugleich propagierten Flüchtlingsabwehrpläne zu rabiat. So forderte Lindner, dass Bürgerkriegsflüchtlinge nur vorübergehenden Schutz erhalten und danach zurückgeschickt werden sollen. Zudem will der FDP-Chef die »Mittelmeerroute schließen« und »Integrationsdefiziten« nicht mehr mit »großer Nachsicht« begegnen.

Die Grünen reagierten empört. Sie haben allerdings in der Landespolitik sowie im Bundesrat längst gezeigt, dass sie unter bestimmten Bedingungen Asylrechtsverschärfungen zustimmen. Unüberbrückbar sind die Differenzen zwischen ihnen und der FDP nicht.

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