Ärztliche Diagnose per Selfie

Ausbau der Telemedizin

  • Barbara Driessen
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Elke Grüter morgens in den Spiegel guckt, entdeckt sie einen schmerzenden Ausschlag rund um die Nase. Ab zum Hautarzt, denkt sie sich. Und ist schlagartig gestresst, denn sie hat überhaupt keine Zeit, stundenlang im Wartezimmer zu sitzen. »Wie praktisch wäre es jetzt, dem Arzt einfach schnell übers Smartphone ein Selfie zu schicken«, sagt sie sich. Dabei wäre das technisch alles längst möglich, sagen Experten - und fordern einen zügigen Ausbau der Telemedizin.

»Gerade bei Hautausschlag könnte die Telemedizin sehr effektiv angewandt werden«, sagte der ärztliche Leiter der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, Johannes Schenkel. Allerdings gilt in Deutschland das sogenannte Fernbehandlungsverbot. Demzufolge muss die Erstdiagnose von einem Arzt vor Ort erstellt werden. Die Nachkontrolle kann dann per Videokonsultation erfolgen.

»Dabei gibt es durchaus Erkrankungsbilder, die ausreichend sicher aus der Ferne diagnostiziert werden können«, sagt Johannes Schenkel und nennt als Beispiel einen unkomplizierten Harnwegsinfekt bei Frauen, für dessen Diagnose auch in der Arztpraxis keine Tests gemacht werden müssen. In anderen Ländern wie etwa der Schweiz und Großbritannien sei die Telekonsultation erlaubt und werde effizient eingesetzt, bestätigt Siegfried Jedamzik von der Bayerischen TelemedAllianz, die in Bayern telemedizinische Projekte koordiniert: »Wenn das sorgfältig gemacht wird, ist das kein Problem.«

In Bayern werde Telemedizin bereits seit 20 Jahren unterstützt und gefördert, berichtet Siegfried Jedamzik. So gehörte der Mediziner zu den Mitinitiatoren eines mobilen Tele-Augenkonzils für Bewohner von Pflegeheimen. Dabei suchen Augenärzte mit mobiler Ausrüstung Pflegeheime auf und übermitteln die Untersuchungsergebnisse digital an die Augenklinik, die den Befund per Brief an die Patienten verschickt. »Da die Bewohner von Pflegeheimen oft nicht mobil sind, ist es sinnvoll, die Ärzte zu ihnen zu schicken«, so Jedamzik.

Großes Potenzial für chronisch Kranke

Durch die voranschreitende Digitalisierung des Gesundheitswesens steht die Medizin vor einem Wandel. Nach einer aktuellen repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom benutzen 45 Prozent aller Smartphonenutzer eine Gesundheitsapp.

»Gerade bei der Versorgung chronisch Kranker sehe ich hier ein großes Potenzial«, erklärt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Ulrich Fölsch. Er hält es für sinnvoll, etwa mit Hilfe von tragbaren Geräten am Handgelenk Blutzuckerwerte von Diabetikern oder EKG-Ergebnisse von Menschen mit Herz-Rhythmus-Störungen zu sammeln, die Alarm schlagen, wenn Grenzwerte überschritten werden. »Allerdings muss natürlich die Qualität dieser sogenannten Health-Wearables gesichert sein«, betont Ulrich Fölsch.

Schnelle und effiziente Behandlung

Johannes Schenkel von der Unabhängigen Patientenberatung sieht noch einen weiteren unschätzbaren Vorteil der Telemedizin, nämlich »die Möglichkeit, Expertenwissen flächendeckend anzubieten«. Bei der Versorgung von Schlaganfallpatienten etwa arbeiten kleinere Krankenhäuser oft schon jetzt mit Experten in Spezialkliniken zusammen: Sie übermitteln ihnen die MRT-Aufnahmen des Patienten elektronisch und stimmen sich in Videokonferenzen über die Behandlung ab. »Das ist schnell und effizient«, so Johannes Schenkel. Ähnliches gibt es auch schon seit geraumer Zeit für die Behandlung von Tumorpatienten.

Datenhoheit muss gewährleistet sein

Laut der Bitkom-Studie ist den Deutschen allerdings eines sehr wichtig: die eigene Datenhoheit. So wollen 74 Prozent selbst entscheiden, welche Ärzte Zugriff auf ihre Daten haben. Das sei absolut nachzuvollziehen, sagt der Patientenschützer Johannes Schenkel: »Der Hautarzt muss nicht unbedingt wissen, dass der Urologe Viagra verschrieben hat - für den Kardiologen dagegen ist das sehr wichtig.« epd/nd

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