»Insbesondere temperaturempfindliche ...

Kathrin Gerlof über die Lässigkeit der Deutschen beim Umgang mit den Gefahren des Klimawandels

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

… Arten müssen weichen.« Das Bundesumweltministerium kann auch nüchtern, obwohl die Nordsee uns wirklich am Herzen liegt. Und ausgerechnet sie, deren Krabben wir so verehren, erwärmt sich im Zuge des Klimawandels besonders schnell. Genau gesagt, in den vergangenen 45 Jahren doppelt so schnell wie alle Ozeane. Die Durchschnittstemperatur der deutschen See stieg um 1,67 Grad Celsius. Und so wird die Nordsee demnächst wirklich zur Mordsee, denn viele Organismen werden das nicht überleben. Der Kabeljau zum Beispiel, den wir doch gern essen, zieht weiter.

Nun aber kommt die gute Nachricht: Es werden andere kommen, nämlich Fische aus den südlichen Gewässern, wie der schreckliche Rote Knurrhahn, die Streifenbarbe, die Sardelle und der Wolfsbarsch. Die sogenannten Klimaskeptiker - also all diese Gondelköpfe, die nicht nur, aber auch Trump heißen - werden aus dieser Tatsache Kapital schlagen. Ist der Knurrhahn nicht weitaus schmackhafter als der langweilige Kabeljau? Und lieben wir die Küstenregion Niedersachsens wirklich so sehr, dass wir traurig sein werden, wenn sie von Stürmen heimgesucht wird und am Ende verschwindet, weil der Meeresspiegel steigt?

Am 11. September - kein guter Tag - haben Experten und -innen des ganzen Landes im Niedersächsischen Gewässerforum über Hochwasser und Klimawandel diskutiert. »Extremereignisse in der Wasserwirtschaft - Gefahren und Maßnahmen«; hieß die Veranstaltung, wenigstens dort scheint man davon überzeugt zu sein, dass Dinge passieren werden.

Ansonsten ist Gelassenheit angesagt und natürlich: sitzenbleiben, keine Hektik verbreiten, abwarten.

2016 ist die Emission von Treibhausgasen in Deutschland leicht gestiegen. 2020 aber sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesunken sein. Wie das funktionieren kann, wenn der Ausstoß klimakillender Gase steigt, hat noch niemand erklärt. Aber wird schon klappen - oder mit anderen Worten gesagt: »Wir schaffen das!« Und subventionieren weiterhin Kohleförderung. Das ist kein Widerspruch, das ist Dialektik, hätten wir früher erklärt. Eine Dialektik übrigens, die auch bei Linken und Gewerkschaftern und -innen gut verbreitet ist. Braunkohle bedeutet Arbeitsplätze, scheiß auf die übernächste Generation, Wahlkampf ist jetzt.

Aber lasst uns auf Trump gucken, das ist viel schöner und einfacher, als im eigenen Stall zu kehren. Denn Trump ist eine so großartige Projektions- und Ablenkungsfläche, der spricht ja auch noch deutlich aus, was andere in ihren Sonntagsreden niemals zu sagen wagten: Klimawandel ist nicht und selbst wenn er ist - America first. Solange wir mit dem Finger auf andere zeigen können, müssen wir uns nicht an die eigene Nase fassen. Und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis Irma und Harvey oder vergleichbare Hurrikans die deutsche Krabbenküste heimsuchen. Bis dahin sind andere Kanzler und wir, die wir voll im Saft stehen, vielleicht auch schon zu Staub zerfallen. Obwohl! Die Prognosen der Skeptiker sprechen eine andere Sprache. Aber da sch… wir drauf.

Drei von vier Deutschen halten den Klimawandel für in der Wissenschaft umstritten - obwohl sich die Fachwelt einig ist, dass es den Klimawandel im Gegensatz zum Yeti wirklich gibt. Deshalb werden wir die Politik nicht damit nerven, dass Deutschland das sogenannte CO2-Ziel für das Jahr 2020 wirklich weit verfehlen wird, und irgendwelche blöden Nachfragen stellen. Neueren Studien zufolge werden 2020 wahrscheinlich 50 Millionen CO2 mehr ausgestoßen, als die Bundesregierung weissagt. Und warum? Wir werden wieder mehr (nein, nicht durch die Flüchtlinge, sondern weil wir offensichtlich wieder mehr Spaß an ungeschütztem Sex haben) und die Wirtschaft wächst. Wie schön ist das denn?

Dann eben 2040, auch eine schöne Jahreszahl. Und steigende Meeresspiegel haben ja den Vorteil, dass der Weg zur Seebestattung kürzer ist. Kostet dann weniger.

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