Vermieter kennen keine Grenzen

Mieterverein: Bei 72 Prozent aller untersuchten Mieterhöhungen wurde Recht gebrochen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Eine wahre Mieterhöhungswelle hat Berlin erfasst«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV) am Dienstag bei der Vorstellung einer ersten Auswertung von Mieterhöhungsverlangen nach Vorstellung des Mietspiegels 2017 im Mai. 202 Mieterhöhungen aus dem Juli und August wurden vom BMV analysiert. Im Durchschnitt wollten Vermieter monatlich 72 Cent mehr pro Quadratmeter haben. Ein Anstieg von über elf Prozent. 670 Euro muss der Durchschnittsmieter pro Jahr zusätzlich bezahlen. »Das ist ein massiver Schluck aus der Pulle, der sich kaum durch eine Lohnerhöhung wieder hereinholen lässt«, erklärt Wild.

Dabei nutzen Vermieter nicht nur die bereits großzügigen Erhöhungsmöglichkeiten, die ihnen der Bundesgesetzgeber einräumt. »Bei 72 Prozent der untersuchten Mieterhöhungen wurden die mietrechtrechtlichen Vorgaben überschritten«, berichtet der BMV-Geschäftsführer.

So wurde bei fast zwei Drittel der Fälle die ortsübliche Vergleichsmiete überschritten. Ein Beispiel: Die Secura Grundstücksverwaltung GmbH verlangt nach Angaben des Mietervereins für eine fast 84 Quadratmeter große Wohnung in der Zehdenicker Straße 14 in Mitte eine neue Kaltmiete von knapp 625 Euro, 40 Euro mehr als bisher. Nach Berechnungen des BMV läge die ortsübliche Vergleichsmiete bei nur knapp 465 Euro. Bereits jetzt zahlt die Mieterin also Monat für Monat 120 Euro mehr, als angemessen wäre. Im Durchschnitt ermittelte der Mieterverein eine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete um 83 Cent pro Quadratmeter. Bei Häusern, die vor 1918 errichtet wurden, waren es sogar 1,28 Euro.

In anderen Fällen wird die Kappungsgrenze überschritten. Sie besagt, dass die Miete innerhalb von drei Jahren in der Hauptstadt um nicht mehr als 15 Prozent steigen darf, wobei gleichzeitig die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschritten werden darf. Am Hohenzollerndamm in Wilmersdorf will die Schreiber Immobilien und Verwaltung GmbH die derzeitige Kaltmiete von sieben Euro pro Quadratmeter auf 7,90 Euro erhöhen. Dabei überschritt schon die vorherige Mieterhöhung nach Angaben des Mietervereins die Kappungsgrenze. Maximal 6,90 Euro hätten demnach für den Quadratmeter verlangt werden dürfen. Die ortsübliche Vergleichsmiete läge bei 7,10 Euro pro Quadratmeter.

»Die Begründungspflichten der Vermieter provozieren eine Umgehung der Grenzen«, beklagt Wild. Denn Mieterhöhungen dürfen mit dem Oberwert des Mietspiegels begründet werden, wenn der Vermieter darauf verzichtet, die einzelnen wohnwerterhöhenden und -mindernden Merkmale auszuweisen.

Einen »Skandal« nennt Pascal Meiser, Friedrichshain-Kreuzberger Direktkandidat der LINKEN für den Bundestag, den Umstand, dass Vermieter sich vielfach über geltendes Recht hinwegsetzten. »Vermieter müssen bei offenkundig unzulässigen Mieterhöhungsbegehren oder illegalen Neuvertragsmieten künftig mit empfindlichen Strafen rechnen, damit sie die Notlage vieler Mieterinnen und Mieter auf dem Wohnungsmarkt nicht länger gefahrlos ausnutzen können«, fordert er. Unter dem Strich handele es sich beim Mietspiegel um einen »Mieterhöhungsspiegel«.

Unauffällig waren in diesem Zusammenhang Genossenschaften und städtische Wohnungsbaugesellschaften. Letztere dürfen laut der neuen Kooperationsvereinbarung mit dem Senat nur zwei Prozent Mieterhöhung pro Jahr verlangen. »Der Bund sollte dem Beispiel Berlins folgen und sechs Prozent Erhöhung in drei Jahren als Obergrenze in angespannten Wohnungsmärkten übernehmen«, fordert Wild. Werte, an die sich nicht einmal die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) hält. Fast 15 Prozent mehr Miete verlangt die Bundesgesellschaft aktuell in Zehlendorf.

Die Modernisierungsumlage abzuschaffen und den Mietspiegel wirklich rechtssicher zu machen sind einige Forderungen des BMV an eine neue Bundesregierung. »Außer der Mietpreisbremse, die nicht funktioniert, hat die amtierende Regierung eigentlich nichts zu Wege gebracht«, lautet Wilds bitteres Fazit.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal