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Kürzungen an Berliner Unis: Mit dem Beil statt dem Skalpell
Zehn Prozent der Berliner Studienplätze sollen gestrichen werden
Die Berliner Hochschulen müssen massiv Studienplätze abbauen. Das bestätigte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) am Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. »Wir werden in einen strukturierten gemeinsamen Prozess eintreten, an dessen Ende ein Abbau von Studienplätzen, Kapazitäten und Standorten stehen wird«, sagte sie.
Als Größenordnung nannte Czyborra zehn Prozent der derzeitigen Studienplatzkapazitäten, die gestrichen werden sollen. Das entspricht etwa 25 000 Studienplätzen. Dazu, an welchen Stellen Studienplätze wegfallen könnten, machte Czyborra keine Angaben. Nur ein Bereich soll explizit ausgenommen werden. »Es gibt keinen Abbau der Studienplätze im Lehramt«, sagte Czyborra.
Wo genau Kapazitäten abgebaut werden, solle in einem »mittelfristigen Prozess« entschieden werden, so Czyborra. Man werde sich dabei etwa ansehen, welche Studiengänge nur schwach nachgefragt werden. Dazu sollen auch externe Berater herangezogen werden. Bis zum Ende der Laufzeit der Hochschulverträge im Jahr 2028 soll eine Übereinkunft über eine »ausfinanzierte, qualitätsvolle Struktur am Standort Berlin« gefunden werden, so Czyborra. Als ein möglicher Kürzungskandidat kursiert etwa der Studiengang Archäologie an der Freien Universität – den Wissenschaftssenatorin Czyborra einst selbst studierte.
Der Studienplatzabbau könnte auch Folgen für die Forschung haben. Denn die Zahl der Studienplätze ist über die Kapazitätsverordnung an die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter geknüpft – und vice versa. Auf eine mögliche Novellierung der Kapazitätsverordnung, die schon seit Jahren und unabhängig von der Kürzungsdebatte in der Diskussion ist, ging Czyborra nicht ein.
Hintergrund des in diesem Umfang in der Berliner Nachkriegsgeschichte einmaligen Rückbaus sind Sparmaßnahmen im Berliner Landeshaushalt. Die Mittel für den Wissenschaftsbereich wurden mit dem Nachtragshaushalt um etwa 200 Millionen Euro gekürzt – und es ist absehbar, dass die Ausgaben auch in den kommenden Jahren nicht wieder auf das alte Niveau steigen werden. Mit den Hochschulverträgen, die die Finanzierung der Universitäten regeln, war den Unis im vergangenen Jahr zugesichert worden, dass ihre Mittel Jahr für Jahr um 3,5 Prozent ansteigen sollten.
Um den Spardruck vor allem auf kleinere Hochschulen zu lindern, soll es zu einem Ausgleich zwischen den Hochschulen kommen.
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Davon bleibt nun so gut wie nichts. Nach dem Beschluss des Nachtragshaushalts wurden die Hochschulverträge ausgesetzt und Neuverhandlungen angesetzt. Auch wenn erst am kommenden Montag die Verhandlungen beendet werden sollen, sind die Eckpunkte bereits klar: Der Landeszuschuss für die Unis soll bis 2028 auf dem aktuellen Niveau festgeschrieben werden. Zusätzliche Mittel sollen die Hochschulen nur für Tarifsteigerungen erhalten. Immerhin scheint dieses Finanzierungsniveau mittelfristig sicher zu sein. »Das Modell Nulllinie plus Tarifaufwüchse ist geeint als Ziel nicht nur mit dem Finanzsenator, sondern auch mit dem Regierenden Bürgermeister«, versicherte Czyborra.
Um den Spardruck vor allem auf kleinere Hochschulen zu lindern, soll es zu einem Ausgleich zwischen den Hochschulen kommen. Die Universitäten sollen demnach einen Teil ihrer – insgesamt etwa eine Milliarde Euro umfassenden – Rücklagen an Hochschulen abgeben, die über keine solchen Rücklagen verfügen. Vertreter von Kunst- und Musikhochschulen hatten zuletzt gewarnt, dass ihnen die Zahlungsunfähigkeit droht, sollten sie die geforderten Sparmaßnahmen ungefedert umsetzen. Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität, die Rücklagen abgeben müsste, bestätigte vor dem Wissenschaftsausschuss den Plan. »Das Solidarmodell als Grundmodell ist geeint, aber über die Details werden wir noch sprechen«, sagte die Universitätspräsidentin.
Schmerzen dürfte ein Verlust der Rücklagen die großen Universitäten durchaus. Denn aus ihnen finanzieren sie einen erheblichen Teil ihrer Bau- und Sanierungsvorhaben. Diese sollen künftig an eine berlinweite Baugesellschaft ausgelagert werden. Doch auch dann dürften sich die Unis darauf einstellen, künftig mit weniger Raum zurechtkommen zu müssen. »Ich kürze lieber bei Beton als bei Köpfen«, sagte Czyborra.
Gegen die Kürzungspläne regt sich Widerstand: Studierende und Gewerkschaften rufen für die finale Hochvertragsverhandlungsrunde am kommenden Montag zu einer Protestkundgebung auf. Schon zuvor soll mit »Mittagspausen gegen die Kürzungen« vor Mensen mobilisiert werden. Die Organisatoren des Protests fordern, dass die Unis das Land auf Einhaltung der ursprünglich beschlossenen und dann widerrufenen Hochschulverträge verklagen.
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