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Bis zu 24 Monate in der Erstaufnahme vegetieren

Koalitionsfraktionen sind uneins über den Umgang mit neu ankommenden Asylbewerbern

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Entweichen von 48 irakischen Flüchtlingen aus der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt bezeichnete Brandenburgs Linksfraktionschef Ralf Christoffers am Dienstag als »Unding«. Dies sei »Wasser auf die Mühlen der AfD«, sagte er. Eine Einigung der Koalitionsparteien SPD und LINKE zur Aufenthaltsdauer von Asylbewerbern in der Erstaufnahme ist derzeit nicht in Sicht. Erschwert wird dies auch durch ungeklärte Zuständigkeitsfragen.

Tatsächlich aber ist ein Flüchtlingsheim kein Gefängnis und die Insassen können auch nicht bewacht werden wie Gefangene. Tausende haben es in den zurückliegenden Jahren vorgezogen, das Land Brandenburg, dem sie zugewiesen worden sind, wieder zu verlassen, um sich anderswo in Deutschland oder in Nordeuropa eine Bleibe zu suchen. Linksfraktionschef Christoffers wies darauf hin, dass die völlig ungeregelten Zustände schon länger vorbei sind und das Entweichen einer so großen Gruppe eine Ausnahme darstelle.

Flüchtlinge bis zu 24 Monate in Eisenhüttenstadt zu lassen, das sei »eindeutig zu lang«, meinte Christoffers zu einem gemeinsamen Vorschlag von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und dem Landkreistag. Diese wollen erreichen, dass über den Aufenthalt von Geflüchteten prinzipiell schon entschieden sein müsse, bevor die Verteilung auf die Kreise und kreisfreien Städte beginne. Die Linkspartei ist deshalb verstimmt, weil sie die Zuständigkeit für diese Frage nicht im Innenministerium sieht, sondern beim Sozialressort von Ministerin Diana Golze (LINKE).

»Ich kenne die Bedenken der kommunale Ebene«, bestätigte Christoffers. Ihm leuchte jedoch nicht ein, warum die bisher geltende Maximalfrist von sechs Monaten Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme nicht für die Statusklärung ausreichen sollte. Er beharrte darauf, dass die Justiz unabhängig bleiben und die Zeit bekommen sollte, die nötig ist, um über Asylanträge zu entscheiden. Vor allem gegen tschetschenische Flüchtlinge hatten sich die Kreise zuletzt gewehrt. Christoffers erläuterte, in der Regel haben die Tschetschenen keine Papiere und die russische Botschaft weigere sich, welche auszustellen.

Eine »ruhige und vernünftige« Einigung mit der Linkspartei werde bis Dezember zustande kommen, versicherte SPD-Fraktionschef Mike Bischoff. Auch ihm erscheine sinnvoll, die Flüchtlinge erst auf die Kreise zu verteilen, wenn der »Aufenthaltsstatus geklärt« sei. Dass die AfD hier Beifall spende, »interessiert mich nicht.« In der Erstaufnahme gebe es Schulunterricht, Sozialarbeit und Freizeitaktivitäten. Umfassende Integration sei aber erst für Menschen sinnvoll, die nachweislich in Deutschland bleiben dürfen, findet Bischoff.

Schwer enttäuscht von der SPD zeigte sich Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Was den Vorstoß von Innenminister Schröter betreffe, sagte er: »Ich bin entsetzt.« Auf Bundesebene stelle sich die SPD als human inspiriert dar und in Brandenburg verfolge sie »strikt das Gegenteil«. Es sei nicht hinnehmbar, Menschen zwei Jahre lang in der Erstaufnahme »vegetieren« zu lassen. Schon die heute geltende Maximalfrist von sechs Monaten sei »grenzwertig«.

In der Erstaufnahme werde »niemand festgebunden«, erklärte Vogel. Das gelte selbst für Insassen, die mit einem Koffer in der Hand angetroffen werden. Ihm scheine, dass die Bundespolizei die entwichene Gruppe der 48 Iraker erschreckt habe mit der Ankündigung, dass gegen sie ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise in Gang gesetzt worden sei. Dabei hätte zur Information auch gehört, dass diese Strafverfolgung ausgesetzt werde, wenn das Asylrecht greife. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, dass sie 2015 die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aufgenommen habe, ohne sich zuvor mit den EU-Partnern abgestimmt zu haben. »Sie hat nachgewiesen, dass dies in diesem Moment gar nicht möglich gewesen wäre«, lobte Vogel. Von der Landesregierung forderte er, die Angebote in den Erstaufnahme bedeutend zu erweitern. Seite 9

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