Der Bundestag braucht keine Lex AfD

Robert D. Meyer plädiert für eine klare politische Abgrenzung von der Rechtsaußenpartei, würde dafür aber niemals die Geschäftsordnung des Parlaments ändern

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Über die Geisteshaltung des Wilhelm von Gottberg besteht kein Zweifel. Im »Ostpreußenblatt« vom 6. Januar 2001 schrieb er: »Bedeutsam für die Zukunft der Deutschen ist die Frage, wie lange noch die nachwachsende Generation mit dem Makel der Schuld für zwölf Jahre NS-Diktatur belastet wird.« 16 Jahre später schickt sich dieser von Gottberg an, als niedersächsischer AfD-Kandidat in den Bundestag einzuziehen. Und mehr noch: Mit seinen 77 Jahren hatte er große Chancen, Alterspräsident des Hohen Hauses zu werden. Wäre da nicht Norbert Lammert (CDU) gewesen: Als eine seiner letzten Handlungen als Bundestagspräsident brachte er Union und SPD dazu, die Geschäftsordnung zu ändern. Demnach wird nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident und darf den neu gewählten Bundestag eröffnen.

Dass diese Aufgabe damit auf absehbar etliche Legislaturperioden kein AfD-Vertreter übernehmen wird, liegt in der Sache. Die Partei schickt sich am Sonntag an, erstmalig in den Bundestag einzuziehen. Panisch fragen sich nun die bereits im Hohen Haus vertretenen Parteien: Wie mit der AfD umgehen?

Bliebe es bei den bisherigen parlamentarischen Spielregeln, stünden den Rechten unter anderem die Vorsitzposten in mehreren Ausschüssen sowie deren Stellvertreter zu. Die Krux: Die Geschäftsordnung regelt das Vergabeverfahren faktisch nicht. Nebulös heißt es: »Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat.« Letzteres Gremium könnte auf die Idee kommen, Absprachen zu treffen, um den Einfluss der AfD klein zu halten. Laut »Bild« soll es im einflussreichen Haushaltsausschuss bereits die Abmachung geben, der AfD den Vorsitz im Gremium zu verweigern, sollte sie stärkste Oppositionskraft werden. Der steht traditionell dieser Posten zu. Doch Regelungen lassen sich ändern, umso leichter, wenn es dafür nicht einmal des Beschlusses des gesamten Parlamentes bedarf.

Solch eine Entscheidung wäre erst einmal demokratisch. Ein allein auf Gewohnheit basierendes Anrecht auf Posten gibt es nicht. Gleichwohl sollten die Geschäftsordnung und lang erprobte Spielregeln, selbst wenn diese nicht auf einem Blatt Papier verewigt sind, tunlichst nicht als politisches Instrument begriffen werden, das eine Mehrheit nach Gutdünken nutzt und ändert, nur weil ihr eine Fraktion nicht passt. Die LINKE musste diesbezüglich selbst reichlich negative Erfahrungen machen, etwa als das Plenum Lothar Bisky 2005 als Vizepräsidenten durchfallen ließ. Auch gegen die Ernennung der amtierenden Haushaltsausschuss-Vorsitzenden Gesine Lötzsch machten Teile der Union vor vier Jahren mit dem Argument mobil, die LINKE-Politikerin distanziere sich nicht vom Kommunismus.

Im Fall der AfD sind die Rahmenbedingungen andere: Obwohl sich die Partei in den letzten Wochen die letzten Reste ihrer bürgerlichen Fassade herunterriss, wird es dennoch Menschen geben, die am Sonntag glauben, durch die Wahl der AfD »nur« ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Jene sind es, die andere Parteien zurückgewinnen könnten. Nicht jene, die den völkischen Nationalismus der Rechtsaußenpartei feiern und in ihr eine politische Heimat fanden.

Frustrierte Protestwähler gewinnt niemand zurück, wenn der AfD-Opfererzählung unnötig Nahrung geliefert wird. Letztlich würden sich Zweifel an der Demokratie nur verfestigen. Nach dem Motto: »Die Altparteien machen ohnehin nur, was sie wollen.« Statt also über eine Lex AfD nachzudenken, sollte die inhaltliche Auseinandersetzung erfolgen, insbesondere zu jenen Themen, die die Rechtsaußenpartei im Wahlkampf meidet, weil sie ihre neoliberale Schlagseite offenbaren würden.

Was würden die »kleinen Leute« davon halten, wenn die Ökonomin Alice Weidel im Plenum erklären müsste, warum sie eine Abschaffung der Erbschaftsteuer fordert oder die AfD eine Reaktivierung der Vermögensteuer ablehnt? Solch eine in der »Tagesschau« gesendete Aussage entzaubert die Partei eher, als Gauland und Co. des medialen Effektes wegen nur bei ihrem rassistischen Überbietungswettbewerb zu zeigen. Zumal die Vergangenheit zeigt: Dies schreckt Wähler nicht ab.

Wichtiger ist es, dass alle anderen Parteien sich einem Rechtsruck verweigern. Doch danach sieht es nicht aus. Union, SPD und FDP robben sich an AfD-Positionen heran, weil sie hoffen, so Wähler zurückzugewinnen. Überzeugte völkische Nationalisten wählen aber lieber das Original, während Protestwähler in ihrer Denkzettellogik gefangen bleiben.

Behalten diese Drei ihren Kurs bei, würde die AfD indirekt in der Regierung sitzen, obwohl sie es doch nur auf die Oppositionsbank geschafft hat. Sie aus den Parlamenten wieder herauszudrängen, wird auch so schon schwer genug.

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